Tango für Anfänger: Berühre mich, verführe mich

Mit dem Tango ist wie es mit der Liebe: Man weiß nie, wie es weitergeht und was der nächste Schritt ist. Unsere Autorin hat bei Tanzlehrer Jost Budde ihren ersten Tango getanzt.

Tango für Anfänger: Berühre mich, verführe mich
Foto: Judith Michaelis

Der Tango ist der vertikale Ausdruck eines horizontalen Verlangens. Das hat der britische Dramatiker George Bernard Shaw einmal gesagt. Klingt verführerisch, verrucht, aber auch ein bisschen verboten. Ich kenne Tango aus dem Fernsehen, aus Filmen, sogar aus einem Finnland-Urlaub. Getanzt habe ich ihn jedoch bisher noch nie, aber das soll sich heute ändern.

Im Tanzhaus NRW empfängt mich Tanzlehrer Jost Budde zu meiner ersten Stunde. Habe ich Erwartungen gehabt? Zugegeben: Ja, schon. Aber Jost Budde kommt nicht in einem hautengen schwarzen Gauchokostüm daher und der Raum, in dem wir tanzen, ist auch nicht schummerig und nur von Kerzen beleuchtet. Leider. Denn die riesigen Fenster mit Blick auf den Parkplatz versprechen neugierige Blicke, die überbordenden Spiegel zeigen die ungeschminkte Realität. Feurig ist hier (noch) nichts.

Bevor wir anfangen, erklärt mir Jost Budde, was wir gleich tun werden. Beim Tango Argentino geht es um Improvisation. Nichts ist vorgegeben. Es geht darum, sich immer näher zu kommen. Den Anderen intensiv zu spüren, mit ihm zu verschmelzen.

Ob mir das gefällt, weiß ich noch nicht. Schließlich sind wir Wildfremde. Jost Budde spricht von „Signalen“, „Kontakten“ und „Berührungen“. Der Mann deutet einen Schritt an, die Frau muss diesen verstehen, er wiederum ihre Reaktion antizipieren. Es ist ein bisschen wie mit der Liebe. Man weiß nie wirklich, was der nächste Schritt ist. Hierfür braucht es nicht nur eine feine Selbstwahrnehmung, sondern auch sehr viel Empathie.

Endlich ist der Moment gekommen. Jost Budde führt mich in die Mitte des Raumes. Wo ist die Musik? Es gibt keine. Mein Partner schaut mir in die Augen, berührt meine Hände, legt sie in seine. Wir beginnen und nun verstehe ich sofort, was er meint. Die ersten Schritte gelingen mir, dann bin ich raus. Obwohl es ein „simples“ Vor und Zurück ist, habe ich die nächsten Schritte von Jost Budde nicht „gespürt“. Ich muss lachen. So viel zu horizontalem Verlangen.

Jost Budde nimmt meine Hände und legt sie in seine Armbeugen. Vorbeugen. Mein Gewicht leicht gegen seinen Körper stützen. Er empfiehlt mir die Augen zu schließen. Ich kriege den nächsten Lachanfall, doch es funktioniert. Was wir tun, weiß ich nicht.

Ich konzentriere mich und versuche gleichzeitig meinen Kopf für ein paar Sekunden auszuschalten. „Wunderbar“, lobt mich Jost Budde. „Wir wollen uns spüren. Es geht um die Berührung und du hast meine Signale wahrgenommen. Du hast mich ganz tief gespürt in diesem Moment.“ Wir kommen zur Hüftdrehung. Jost Budde zeigt mir, wie es geht. Beide Füße stehen eng beieinander, der Oberkörper ist stolz aufgerichtet, die Bewegung kommt aus der Hüfte, die untere Körperhälfte dreht sich mit. Was bei ihm einfach aussieht, sieht bei mir linkisch aus. Die Spiegel sind gnadenlos. Ich denke, was er wohl gerade denkt. „Entspann dich, entspann dich“, flüstert Jost Budde. Er geht zu seinem Laptop und macht endlich Musik an. Dann zieht er mich wieder zu sich, dreht leicht an meinen Handgelenken. Ich schließe wieder die Augen und lasse mich führen. Ich merke, dass sich mein Körper offenbar gerade dreht, dass ich rückwärts und seitwärts gehe. Als der letzte Ton der Musik verklungen ist, öffne ich wieder meine Augen. Meine erste Tangostunde — sie ist vorbei.

Der Tango macht mit uns, was er will, treibt uns herum und auseinander und dann wieder zusammen. Das hat der argentinische Schriftsteller Jorge Louis Borges einmal gesagt. Er hat recht.

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