Stadt-Teilchen Wenn Beamte Sprache panschen

Die Sprachartisten aus dem Presseamt öffnen Welten, die zwischen Buchstaben versteckt liegen.

Stadt-Teilchen: Wenn Beamte Sprache panschen
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Ich lerne jetzt dazu. Jeden Tag ein bisschen. Mit dem Pressedienst der Landeshauptstadt. Der erscheint täglich und teilt jedem, der will, mit, was man in der Stadtverwaltung so für berichtenswert hält. Kann man abonnieren als Newsletter. Kostet nichts, komm dann automatisch und bringt ganz oft Geschenke mit. Mit Geschenke meine ich neue Wörter, komponierte Wortgetüme, die ich so noch nicht kannte, die mich aber meist für mindestens eine Stunde aus dem Alltagstrott reißen, weil ich 60 Minuten nichts anderes tun kann als das neue Wort immer wieder fasziniert auf meinen Lippen vibrieren zu lassen. Mein neues Lieblingswort ist Kampfmittelverdachtspunkt. Ist das ein Wort? Könnte ich mich von ernähren. Kampfmittelverdachtspunkt. Soll wohl sagen, wo noch was liegen könnte aus dem letzten Krieg. Klingt aber fast wie aus einem Stallone-Film: Kampfmittelverdachtspunkt. Hammerausdruck. So etwas können die beim Pressedienst.

Sie überraschen einfach mit was Neuem, wenn das alte noch glüht. Wie oft habe ich vorher geschwärmt von der „lärmoptimierten Asphaltschicht“, die in jeder zweiten Mitteilung des Pressedienstes irgendwo aufgetragen wird. Ich bin nach so einer Meldung und nach der in ihr angekündigten Maßnahme mal an den Ort der Tat gefahren und habe mir den Straßenbelag angeschaut. War angeblich eine „lärmoptimierte Asphaltschicht“, sah aber nicht viel anders aus als anderswo auch. Und ob der Lärm wirklich optimiert war, konnte ich auch nicht feststellen. Klarer Fall eines der Realität überlegenen Wortes. Ich betrat die „lärmoptimierte Asphaltschicht“ und sagte das Wort: „lärmoptimierte Asphaltschicht“. Ich sagte es mehrfach. Fühlte sich gut an.

Dank des Pressedienstes der Landeshauptstadt kenne ich noch mehr Knallerausdrücke. Lange schien ich verliebt in den Mischwasserkanal und in die Spontanvegetation, aber dann spielten meine Hormone komplett verrückt, als ich den Begriff Wildkrautbürste vernahm. Wow! Mit einer Wildkrautbürste fühlt man sich doch gleich besser. Ist nichts für die Zähne. Eher was für die Kehrmaschinen, die der Spontanvegetation auf den Leib rücken. Gelegentlich sind es auch schöne Sätze, die mir der Pressedienst schenkt. Kürzlich las ich: „Direkte Anlieger werden über Wurfsendungen informiert.“ Das fand ich prima.

Viel zu wenige Menschen wissen ja über Wurfsendungen Bescheid. Da ist es Zeit für Aufklärung. Und das Zentralwort: Wurfsendung. Sofort evozierte das die Frage, ob das vielleicht was mit dem Fernsehen zu tun haben könnte, dass dort vielleicht jemand über tolle Würfe berichtet. Speziell für Anwohner. Ob das stimmt? Keine Ahnung. Spielt auch keine Rolle. Das Wort ist Sport. Aber meine Neugierde über die Wurfsendung konnte sich gar nicht richtig entfalten, weil mir ein alter Begriff wieder ins Auge fiel. Den hatte ich selbst jahrelang benutzt, einfach so, mehr oder weniger unbewusst, ohne seine ganze Tragweite zu begreifen. Es handelte sich um die bei der Stadt sehr beliebte Jugendfreizeiteinrichtung. Tolles Wort, dachte ich, als ich seiner Komplexität gewahr wurde. Man richtet dort für die Jugend die Freizeit ein. So wie man ein Wohnzimmer einrichtet. Klingt schon ziemlich irre. Aber wenn man es in der Mitte trennt, kann es zudem auch was für Alte sein. Jugendfrei-Zeiteinrichtung. Könnte doch für von Jugend befreite Senioren stehen, die ihr Haltbarkeitsdatum mal mit dem aktuellen Dasein abgleichen möchten. Fragen über Fragen.

Könnte ich ja mal beim Pressedienst stellen. Aber ich habe ein bisschen Angst, dass dann der Zauber weggeht, dass die Heinzelmännchen im Rathaus aufhören, mir immer wieder neue Wortkonstruktionen aus ihrem Amtskosmos zu schenken. Neulich las ich, dass das Wohnungsamt einen weiteren Servicebaustein liefert. Servicebaustein. Ich dachte sofort darüber nach, was für tolle Häuser man wohl aus Servicebausteinen bauen könnte. Dabei ging es nur um Beratung. Aber das, worum es in der Meldung des Pressedienstes geht, spielt keine Rolle. Nicht für mich. Mir geht es ums einzelne freilaufende Wort.

Kürzlich war wieder mal die Rede vom Anregungs- und Beschwerdeausschuss. Nicht der Beschwerdeausschuss fand dabei meine Beachtung, sondern eher der Anregungsausschuss. Anregungsausschuss ist so ein Wort, das man wunderbar missverstehen kann, wenn man denn will. Geht es möglicherweise um nicht gebrauchte Anregungen, die als Ausschuss irgendwo hin gekippt werden? Und wenn es einen Anregungsausschuss gibt, gehört dann nicht der Anregungseinschuss dazu? Hormonsache vielleicht?

Gut finde ich auch, wenn mir das Presseamt Orientierung bietet. Von einer Leiteinrichtung las ich dieser Tage. Die soll es in den Tunneln der Stadt geben, und ab und zu muss man die wohl mal verbessern. Leiteinrichtung. Erst dachte ich: Ist vielleicht ein Druckfehler, soll vielleicht Leitereinrichtung heißen. Oder Leideinrichtung. Oder es ist irgendwas mit Diätwahn und falschrum gereiht, müsste eigentlich Einrichtung light heißen. Aber nein, da stand Leiteinrichtung.

Schön fand ich auch, wie sie aus dem archäologischen Anlaufpunkt im Heinrich-Heine-Allee-U-Bahnhof den ArcheoPoint gemacht haben. Fand ich großartig. Gleich kam mir in den Sinn, was wir als Kinder da draus gemacht hätten. Da haben wir beim Carsch-Haus ja auch immer das C geschlabbert und uns köstlich über den ungehörigen Rest amüsiert. Da wäre uns ein ArcheoPoint gerade recht gekommen.

Ach, sie liefern so viel, diese Sprachartisten aus dem Presseamt. Man kann das gar nicht genug loben. Sie geben der Sprache immer wieder einen eigenen Dreh, sie öffnen Welten, die bisher zwischen viel zu vielen Buchstaben versteckt lagen. Man müsste mal einen Film über sie drehen. Den könnte man dann zeigen am Kindererlebnistag. Ja, den gibt es. Nicht nur für Mütter und Väter von sprießenden Pänzen, auch für die Blagen selbst ist ein Tag reserviert, an dem sie mal was erleben können. Weil sie ja sonst offenbar nichts erleben.

Ich gehe da auf jeden Fall hin zum Kindererlebnistag, ich möchte mal Kinder erleben. Soll ja schön sein, sagt man. Dort beim Kindererlebnistag halte ich dann vielleicht auch einen Vortrag über tolle Wortspiele. Was werden die Kinder an meinen Lippen hängen, wenn ich mit Kampfmittelverdachtspunkt ankomme. Spannender als jeder Krimi. Und wenn dann alle denken, es geht nicht mehr, dann hole ich die Wildkrautbrüste raus und reiße damit die lärmoptimierte Asphaltschicht auf. Heissa, wird das ein Vergnügen. Danke, Presseamt.

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