Stadt-Teilchen November-Blues in Düsseldorf in den verschiedensten Tönen

Düsseldorf · Vielleicht auch, weil ich zwischen Altweibersommersonne und Weihnachten das Licht der Welt erblickt habe: Ich liebe November, diese Melancholie, wenn weiche Nebel die Farben und den Sound der Stadt dämpfen.

November-Blues in Düsseldorf
Foto: Hufschlag

Und zwischendurch ein heller Ton, wenn im Hofgarten goldene Ginkgo-Blätter wie Sterntaler zu Boden fallen. Solo für Saxophon. November-Blues in Düsseldorf.

November-Blues in Düsseldorf
Foto: Sergej Lepke

Neulich habe ich mir „Magische Natur“ im Kunstpalast angeschaut, in geschlossenen Räumen. Auf dem Rückweg am Rhein entlang zog mich ein anderes Bild in Bann: Blaue Stunde mit vielfarbigen rot-gold-lilafarbenen Glanzstreifen über dem Fluss. Magische Natur live. Mutter Natur ist eben doch die größte Künstlerin. Und das Fortuna-Büdchen auf der Promenade die logische Erweiterung des Ehrenhofes. Dort auf dem Mäuerchen zu sitzen, ein novembercooles Bier in der Hand und einfach nur schauen, wie die letzten Sonnenstrahlen in den schönsten Farben hinter Oberkassel versinken, das sind dann so die Momente … Quality-Time nennt man das heute wohl.

Der November hat viele Namen. Windmond nannten ihn die alten Germanen. Oder Nebelung. So hieß in Düsseldorf auch mal eine Kunstgalerie im Ratinger Tor nach ihrer Galeristin Hella Nebelung. Sie begann ihre Karriere als Balletttänzerin in der Düsseldorfer Oper. Ihr Tanzstudio in der Prinz-Georg-Straße war ein beliebter Künstlertreff. Im zweiten Weltkrieg wurde die Talentierte als Solotänzerin zur Truppenbetreuung in Frankreich und Holland eingezogen, habe ich gelesen. Eine Ballerina als Mischung zwischen Mutter Ey und Mata Hari? Wüsste man gern mehr drüber. So Gedanken kommen einem, wenn man mit der Bierflasche auf der Mauer am Rhein hockt — im November.

Dabei ist der vorletzte Monat im Jahr der, in dem das Jahr langsam Abschied nimmt, die Blätter Trauer tragen. Die kann einen so plötzlich und unerwartet erwischen wie ein kalter Windstoß oder der erste Frost. Es ist noch gar nicht lange her, da erwischte sie mich vor der Tür eines Second-Hand-Ladens in Pempelfort. Dort hing ein handgeschriebenes Blatt mit Foto, eine Todesanzeige. In dem Lädchen werden von freundlichen Frauen Sachen für einen guten Zweck verkauft.

Auch von Renate, einer alten Kollegin, die ich dort wieder getroffen hatte. In der ehrenamtlichen Tätigkeit hatte sie dort nach ihrer Pensionierung noch mal eine Aufgabe gefunden, die ihr so richtig Spaß machte, sie aufleben ließ. „Bis bald mal“, hatte ich fröhlich gesagt, nachdem wir uns über das Wiedersehen genauso gefreut hatten wie in unseren wilden Zeiten, wenn wir uns zufällig beim Feiern auf der Ratinger in die Arme liefen. Und jetzt dieser Zettel: Renate war gestorben. Viel zu früh. Es ist immer zu früh.

Auch für Martin Paul, dessen Namen ich nicht einmal wusste, obwohl ich ihn schon so lange kannte, diesen jungenhaften, immer freundlichen Fifty-Fifty-Verkäufer mit dem blonden Pferdeschwanz. Er hatte seinen Stammplatz in der Grabenstraße an der Unterführung zum Carschhaus. Wir sahen uns fast täglich, stets grüßte er freundlich als Erster. Er hielt mir die Tür auf zu dem roten, bunt beklebten und besprühten Müllhäuschen, das die Stadt den Anliegern der Dauerbaustelle Kasernenstraße dort hingesetzt hatte. Stets ermahnte er mich, nichts daneben zu schmeißen, denn dann kämen die Ratten. Zuverlässig. Das Sauberhalten des ständig stinkenden vermüllten Häuschens sah er als seine ureigenste Aufgabe an, anders als viele, die einen Schlüssel dafür hatten. Und die eigentliche Verantwortung.

Als er einige Tage nicht an seinem Platz war, dachte ich mir zunächst nichts. Vielleicht war es einfach zu kalt geworden? Dann dieser Zettel an der Unterführung mit seinem Namen und seinem Foto: Martin Paul, langjähriger Fifty-Fifty-Verkäufer, Beiratsmitglied der Initiative, Straßenleben-Stadtführer. Verstorben. Im Alter von 55 Jahren.

Jetzt weiß ich nicht nur, wie mein freundlicher Fifty-Fifty-Verkäufer hieß, sondern spüre, dass er mir fehlt. Er war einfach ein Teil meines Stadtlebens. Unseres. Am nächsten Tag klebte eine Rose an seinem Nachruf. Das Müllhäuschen, dessen Hüter er war, ist abgerissen. Es ist kälter geworden in der Grabenstraße. Die Gingkos dort verlieren ihre Blätter.

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