Stadt-Teilchen Ist das Kunst — oder kann der Dreck weg?

Düsseldorf · Können Baustellen wehtun? Oh, jaaa!!! Vor allem, wenn die Beschwerden chronisch sind, wie vielerorts in Düsseldorf. Die Stadt hat’s am Herzen. Überall klaffen Wunden. Andersrum: Kann vielleicht auch eine Baustelle Schmerzen empfinden?

Ist das Kunst — oder kann der Dreck weg?
Foto: huf

Ich bin versucht, es zu glauben, als ich auf schwer verletzte Steine schau, ein stummer Schrei aus den gebuddelten Tiefen der ewigen U-Bahn-Baustelle.

Ist das Kunst — oder kann der Dreck weg?
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Wie die dahin kommen? Es sind Bruchstücke dieser schweren Standfüße, so eine Art viellöchriger Christbaumständer für Warnschilder oder Umzäunungen. Wenn man an Edwards Munchs „Schrei“ denkt, kann man mit etwas Fantasie in zwei Öffnungen aufgerissene Augen und im großen Loch darunter einen aufgesperrten Mund sehe. Kein Wunder, das einem so was einfällt, das Bild ist ja eines der meistreproduzierten Werke der Welt.

Ist das Kunst — oder kann der Dreck weg?
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Der norwegische Künstler machte gleich mehrere davon. Eines davon erzielte 2012 in New York den höchsten Preis, der jemals bei der Auktion von Kunstwerken erzielt wurde: knapp 120 Millionen Dollar. Kurz überlege ich, ob ich nachts in die Baustelle klettere und mir solch ein Ready made von Bilfinger & Berger angele. Nicht als Spekulationsobjekt in zinslosen Zeiten, nein, nur so als Andenken an die schmerzhafte U-Bahn-Baustelle.

Die Entscheidung wird mir abgenommen. Am nächsten Morgen ist die Grube zugeschüttet, der stumme Schrei erstickt. Im Bauschutt darüber glänzt jetzt ein blauer Gummihandschuh, drapiert zu einem Stinkefinger. Auch schön. Am Rand steht eine schwarze Abfalltonne. Unter ihrem roten Deckel klemmt eine Stange, an der ein zweiter, blauer Eimer hängt. „Ab nach Kassel!“ möchte man rufen, auf- und ausstellen auf der nächsten Documenta. Das Publikum wird staunen - wie ich. Wetten?

Kunst kommt nicht nur von Können, sondern manchmal auch vom Sehen können. Bei genauerem Hinsehen bräuchte man gar keine teuren Biennalen oder Quadriennalen. In Düsseldorf liegt so viel herum, was als originelle Gegenwarts- und Gelegenheitskunst gedeutet werden könnte. Meine geliebte Stadt, für mich ist sie immer und überall voller lustiger Kunstpunkte. Sagte nicht schon unser Beuys, dass jeder Mensch ein Künstler ist? Wenn’s stimmt, ist auch jeder Düsseldorfer einer.

Zum Beispiel der, der diesen Fahrrad-Rest eingebettet hat in goldene Gingko-Blätter. Duchamp lässt grüßen. Dessen erstes Werk, sein Fahrrad-Rad, landete ja bekanntlich auf dem Müll.

Apropos Müll: Als ich neulich den Platz vor dem Justizministerium überquerte, fiel mir eine Gruppe schwarzer Zipfel aus. Eingegrabene trauernde Gartenzwerge? Kunst?

Hintenrum betrachtet sah es so aus. Von vorne sind’s jedoch stylische Müllcontainer für allerlei Buntglas, Papier und Pappe.

Später las ich, dass diese neumodischen Abfallfresser auch schon anderenorts, beispielsweise an der Blücherstraße und am Fürstenplatz, versenkt worden sind.

Und mit ihnen rund 50 000 Euro pro Installation. Preise wie auf dem Kunstmarkt.

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