Stadt-Teilchen : Alte Männer mit Glatze - Eine Art Selbstspiegelung in der Bahn
Düsseldorf Neulich stand ich in der Bahn und dachte über das Leben nach. Ich tue das immer, wenn ich eine Bahn besteige. Die Bahn zwingt mich quasi dazu, über mich im Besonderen und die Welt im Allgemeinen zu sinnieren.
Was dem Diogenes seine Tonne und dem Epikur der Garten war, ist für mich die Bahn. Sie mag fahren, wohin sie fahren mag, für mich ist sie in erster Linie philosophisches Zentrum, eine Art Meditationspunkt und Besinnungsraum in einem. Dort wo alle versuchen, in ein nicht näher definiertes Nichts zu starren, fühle ich mich frei von Anspruch, und es bleibt mir Zeit für profunde Analysen des Seins, für die Erforschung jedes beliebigen Warums.
Als ich kürzlich an der Heinrich-Heine-Allee wieder mal meine philosophische Tagungsstätte, vulgo U-Bahn, enterte, geschah Wunderliches. Ich bemerkte rasch, dass um mich herum lauter alte Männer mit Glatze und Nerdbrille standen. Ich fand sie alle sehr alt und sehr glatzig, und die Brillen fand ich auch doof. Ich schüttelte mich förmlich vor Abscheu, bis ich feststellte, dass diese alten Glatzenträger mit ihren Brillen haargenau so aussahen wie ich. Ich ging spontan davon aus, dass es irgendwo eine Fabrik gibt, die alte Männer mit Glatzen und nerdigen Brillen herstellt und dann mit der Rheinbahn an den Kunden bringt.
Als nächstes kam mir der Gedanke, dass ich mich möglicherweise in meiner Rheinbahn-Meditation selbst vervielfältige, um in die Kommunikation mit einem oder mehreren mir ebenbürtigen Wesen eintreten zu können. Aber beides war ein Trugschluss. In Wahrheit stand ich meiner eigenen Mittelmäßigkeit gegenüber. Ich kam zu einer traurig anmutenden Erkenntnis. So wie ich sehen Hunderte aus, wenn nicht gar Tausende. Ich erschrak bei dieser Erkenntnis, denn meine Abneigung gegen alte Männer mit Glatze und Nerdbrille zeugt ja ganz offensichtlich von einer gehörigen Portion Selbstverleugnung. Ich mag mich ganz offensichtlich nicht besonders und projiziere diese galoppierende Abneigung auf all die Typen, die aussehen wie ich. Natürlich bin ich in Wahrheit ganz anders. Hinter meiner biederen Fassade blitzt ein durchgehend geöffnetes intellektuelles Gewitter der Sonderklasse.