Fließender Verkehr in der Stadt ist das Widersinnigste überhaupt, stattdessen gilt: Die Menschen wollen den Stau und lieben ihn

Düsseldorf. Ich möchte mal mit einem grundlegenden Missverständnis aufräumen. Es gibt ja Menschen, die glauben, dass Straßen und Tunnels in der Stadt dazu da sind, dem Menschen samt seinem Gefährt einen möglichst reibungslosen Transfer von A nach B zu ermöglichen.

Stau ist das neue Yoga: Ohne Stau wüsste mancher nicht, was es auf den Straßen alles zu sehen gibt.

Stau ist das neue Yoga: Ohne Stau wüsste mancher nicht, was es auf den Straßen alles zu sehen gibt.

Foto: Judith Michaelis

Wenn der so genannte Verkehr fließt, sei alles in Ordnung, denken sie. Aber in Wahrheit ist doch nichts in Ordnung.

Fließender Verkehr in der Stadt ist das Widersinnigste überhaupt. In der Stadt gilt: Ich staue, also bin ich. Warum sonst sollten wohl die meisten Leute ihre Motoren just zu der Zeit starten, wenn alle anderen das auch tun. Mit ein wenig Nachdenken könnte man voraussagen, dass es dann eng wird, wenn alle dasselbe wollen. Also ist doch davon auszugehen, dass die Menschen den Stau wollen.

Ich wage sogar die These, dass sie den Stau nicht nur wollen, nein, sie lieben ihn. Stau ist das neue Yoga. Stau ist gelebtes Slow Food für die Seele. Im Stau komme ich zur Ruhe, im Stau kann ich mich finden. Ohne Stau wüsste ich nicht, was es auf der Berliner Allee alles zu sehen gibt. Ohne Stau wäre eine Rushhour-Fahrt von Bilk zum Flughafen nur halb so spannend. Wenn es nur im Stop-And-Go-Verfahren vorwärts geht, fühlt man sich doch erst nützlich. Dann kann man mit der Gewissheit leben, Teil eines riesigen Tetris-Spiels zu sein, in dem das Schicksal die Klötzchen, die wir Auto nennen, mit Bedacht zusammenschiebt und zu einer gemeinsamen Form verschmelzen lässt.

Neulich stand ich wieder mal vor der Friedrichstraße in einem Stau. Es wurde verengt von zwei Spuren auf eine. Ich hatte es eilig. Ich war ein bisschen hektisch. Prompt erteilte mir das Leben eine Lektion. Es mäßigte mich. Es führte mich in den Stau. In dem stand ich, sah meine Termine verschwimmen und wollte mich ärgern. Aber dann war da eine innere Stimme, die mir sagte, dass dieser Weg doch meine Wahl gewesen sei und dass ich doch bitteschön das Beste daraus zu machen hätte. Ich lehnte mich also zurück und fügte mich. Sich fügen ist nicht immer leicht, aber wenn man sich ein wenig konzentriert und seine Mitte sucht, dann kann man jene Form der Transzendenz erreichen, die einen bald schon in den Bewusstseinsstand eines altchinesischen Philosophen versetzt. Der Stau ist nicht von Gott gegeben, der Stau bin ich. Ich entdeckte prompt tolle Dinge. Ich konnte mir den aktuellen Stand der restlichen U-Bahn-Arbeiten anschauen und Passanten beobachten. Ich fragte mich, von wo sie wohl kämen und wohin sie wohl strebten. Es dauerte nicht lange und ich hatte meinen Termin komplett vergessen. Ich war fast ein bisschen traurig, als der Verkehr wieder floss. In dem Augenblick entdeckte ich die enge Verwandtschaft zwischen dem Begriff Verkehr und dem Adverb verkehrt. Da stecken doch zwei unter einer Decke, oder?

Wissenschaftler der Universität Besserwiss haben übrigens herausgefunden, dass Städte wie Düsseldorf ohne Stau quasi veröden würden. Wenn immer nur alles flösse, geriete das Individuum allzu leicht in den Hinterhalt des Vergessens.

Ich glaube, dass die Stadt sich diese Studie zu Herzen genommen hat. Nicht ganz offen. Das ginge nicht. Da würden die üblichen Verdächtigen schnell maulen. Nein, es geschieht heimlich. Es gibt, wie in Düsseldorf üblich, einen Masterplan. Der trägt den Titel „Masterplan Tunnel“. In ihm steht, dass eine Metropole, wie sie Düsseldorf ja sicherlich gerne wäre, eine gewisse Anzahl von Tunneln braucht. Diese werden den Bürgern verkauft als Beschleunigungsadern, die den Verkehrsinfarkt vermeiden sollen. In ihnen soll angeblich der Verkehr an den Engstellen vorbeifließen. In Wahrheit sind die Tunnel aber nichts anderes als Entschleunigungsröhren. Sie kommen zum Einsatz, wenn es oberirdisch zu gut läuft, wenn also die Gefahr droht, dass die Menschen einfach so durch die Stadt durchrauschen. Ist das der Fall, dann geht im Verkehrsmanagement eine rote Lampe an.

Dann rückt sofort ein Trupp an und hängt an die Tunneleingänge ein Schild mit der Aufschrift „Wartungsarbeiten“. Das hilft. Sofort kommt der Verkehr zum Erliegen. Früher hat man das mit dem Schildaufhängen auch schon auf normalen Straßen probiert, aber da sind die Menschen den Planern schnell auf die Schliche gekommen. Am Tunnel funktioniert das raffinierter. Ein Tunnel muss immer mal wieder gewartet werden. So etwas sieht man ein. Man will ja beim nächsten ADAC-Tunneltest gut abschneiden. Nur am Rande sei bemerkt, dass auch hier ein Zusammenhang der Begriffe herzustellen ist. Wartung und Warten. Unten wird angeblich der Tunnel gewartet, und oben warten die Autofahrer. Läutet da was? Manchmal ist auch ohne Schild Stau. Oft sogar im Tunnel. Das passiert immer, wenn die Autofahrer zu hektisch fahren. In einem solchen Fall der Überhektisierung geht im Amt für Verkehrsmanagement auch ein Lämpchen an. Es rückt ein Trupp aus, setzt sich an die Spitze des Verkehrs und senkt langsam das Tempo. In der Folge lernt der Autofahrer das heimelige Gefühl kennen, nicht voranzukommen, aber von allen Seiten umschlossen zu sein.

Solch eine Situation gebiert gerne unbewusste Erinnerungen an pränatale Bewusstseinszustände. Profis kategorisieren Tunnel-Staus daher auch in der Rubrik mobiles Rebirthing. Wichtig ist dabei jener Moment, wenn sich der Stau im Tunnel langsam löst, wenn das Licht am Ende desselben näher rückt und der eben noch Geschützte hinauskatapultiert wird in die lichte Welt.

Das gleicht dem magischen Moment der Geburt und kreiert das Gefühl von In-die-Welt-geworfen-sein. So ein Tunnel-Stau ist also eine Art Seelen-Reset, nach dem sich alle viel frischer fühlen. Wer also morgen wieder in den Stau gerät, der unterdrücke seine negativen Gefühle, der denke einfach mal positiv. Wer das morgens nicht verträgt, dem bleibt nur ein Ausweg: Die Bahn nehmen.

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