Stadt-Teilchen Allmählich wird’s lauter: Wenn Düsseldorf dabei ist zu erwachen

Düsseldorf · Ich hatte mich verquatscht und war mitten in der Nacht in der Stadt bis kurz vor Sonnenaufgang unterwegs. Ein Erlebnis.

 Frühaufsteher: Unser Autor ist erst gar nicht zu Bett gegangen. Dieser Mann radelt an der Messe in den Düsseldorfer Sonnenaufgang. 

Frühaufsteher: Unser Autor ist erst gar nicht zu Bett gegangen. Dieser Mann radelt an der Messe in den Düsseldorfer Sonnenaufgang. 

Foto: picture alliance / dpa/Jonas Güttler

Manchmal sind Städte wie große Monster. Sie fauchen, sie schreien, sie brummen. In einem fort. Ohne Unterlass. New York gilt als die Stadt, die niemals schläft. Dort ist immer was los. Immer. Man kann nachts um halb vier einkaufen gehen und bekommt alles, was man meint, um diese Uhrzeit zu brauchen. Das Leben dort ist eine Rundumdieuhrangelegenheit. Das ist eine feine Sache, kann aber auch sehr viel Stress bedeuten, weil man plötzlich nachts um halb vier meint, etwas brauchen zu müssen.

Auch Düsseldorf schläft nicht. Irgendwas ist immer. Wenn auch nicht immer das, was man sich wünscht. Wer jemals versucht hat, im Hafen nach 23 Uhr etwas zwischen die Zähne zu bekommen, der wird eher eine Mittelstandsgemeinde im Halbkoma vermuten als eine pulsierende Metropole. Überall sind die Stühle schon hochgestellt, ist die Küche schon seit einer Stunde erkaltet.

 WZ-Kolumnist Hans Hoff.

WZ-Kolumnist Hans Hoff.

Foto: NN

Aber das ist nur die Andeutung von Schlaf. Irgendetwas regt sich weiter. Selbst in der tiefsten Nacht liegt über den meisten Stadtteilen ein leises Rauschen. Je nach Wohnlage klingt es von fern oder nah herbei. Düsseldorf schläft nicht, aber es schlummert.

So gegen drei Uhr in der Nacht scheint so etwas wie innere Ruhe einzukehren. Dann hat auch der beschwipste Kneipengänger seine Bettstatt gefunden, ist der letzte Krakeeler heimgekehrt, dann atmen die verlassenen Straßen eine Art von Frieden aus, die man tagsüber niemals vermuten würde.

Weil ich mich in der vergangenen Woche mit etwas entfernt wohnenden Bekannten in einer Art nachsilvestrigem Küchentischevent verquatscht hatte, war ich plötzlich gegen halb vier draußen unterwegs, an einem beinahe stinknormalen Wochentag. Ich traf erst einmal auf niemanden. Erst als ich genau hinsah, entdeckte ich hier und da ein paar huschende Gestalten, die sich meist als dienstbare Geister entpuppten, als Zeitungsboten, als Raumpfleger auf dem Weg zum Heinzelmännchenjob. Wenn andere schlummern, machen sie sauber, auf dass am Morgen alles blitzt und blinkt.

Es war eine dunkle Nacht. Es hatte gerade geregnet, und auf den Straßen lag noch ein Film von Feuchtigkeit. Gerade genug, um die Lichter der Großstadt zu spiegeln. Ich spürte einen Hauch von Großzügigkeit, weil meine Stadt all diese Pracht mir exklusiv zukommen ließ. Ich war allein auf den großen Straßen. Dort, wo tagsüber die Autos entlang donnern, herrschte jetzt Stille, nur ab und an mal unterbrochen durch ein verirrtes Taxi, welches ganz offensichtlich die Sicherheit ausnutzte, dass nachts um drei die Chance, in das Visier einer mobilen Radarfalle zu geraten, verschwindend gering ist.

Ich fand diese grundsätzlich überhöhte Geschwindigkeit erst skandalös, machte dann aber meinen Frieden mit dieser Regelübertretung, weil sie ja auch bedeutete, dass die Quelle des Lärms sich rasch wieder aus dem Feinstaub machte.

Wenn irgendwo in der Ferne die Rücklichter verglommen oder von der nächsten Ecke verschluckt wurden, war ich wieder allein. Allein in meiner Stadt. Allein mit meiner Stadt. Beschützt von meiner Stadt, deren Häuser mir gar nicht mehr so hoch erschienen.

Das liegt natürlich an der Höhe der Beleuchtung. Nachts um vier wird halt nur das illuminiert, was man unten in den Straßen zur Orientierung braucht. Die Spitzen der Häuser, ihre Dächer, all das ist unsichtbar. Nur hie und da hat mal jemand vergessen, das Licht zu löschen. Oder es flackert aus einem Fenster dieses graublausilbrige Schimmern, welches Kunde trägt von dem Umstand, dass es so etwas wie Sendeschluss nicht mehr gibt.

Ich fand das alles sehr faszinierend, und weil ich beim Gespräch mit den Freunden sehr viel Kaffee getrunken hatte, noch von Silvester im Langeaufbleibtraining war und wusste, dass ich daheim angekommen eh nicht würde schlafen können, schlug ich ungewohnte Umwege ein. Ich war hellwach, ich schaute hier, ich schaute dort und hatte alles für mich allein.

Natürlich vernahm ich dieses Grundrauschen, aber es klang so fern, wie ich das sonst nur vernehme, wenn ich aus irgendeinem Grunde mal zu früh aufwache und das Fenster weit aufsperre, um mich vom Stadtgrummeln wieder einlullen zu lassen. Gegen halb fünf gesellten sich erste Lieferwagen zu den Taxen, und mich beschlich das Gefühl, dass die Stadt kurz davor war, sich ein letztes Mal im wohligen Schlaf zu räkeln. Noch einmal strecken und recken, und dann strömt schon die Ahnung herbei, dass ein arbeitsreicher Tag naht.

Um kurz vor fünf war es dann Gewissheit, als mir die erste Straßenbahn entgegenkam. Ich sah den Fahrer, der offensichtlich gut geschlafen hatte und einen freundlichen Gesichtsausdruck spazieren fuhr. Der allerdings kontrastierte mit der Mimik seiner Fahrgäste, die sich in ihre Sitze kauerten und versuchten, den Schlaf noch einmal kurz zu umarmen und ihn am enteilen zu hindern.

Ich merkte, dass Düsseldorf dabei war, zu erwachen. In der ersten Bäckerei ging schon kurz vor sechs das Licht an. Ich rüttelte an der Tür, aber man wollte mir noch keinen Einlass gewähren. Ich bummelte noch ein wenig herum und erlebte, wie das Pflaster trocknete, wie es an manchen Stellen im Osten andeutungsweise heller wurde, wie immer mehr Menschen an mir vorbeieilten und dabei noch zu schlafen schienen. Ich bewunderte diese Kunst, eilen zu können und dabei weiterzuschlafen. Ich könnte das nicht, ich würde gegen den nächsten Briefkasten bollern.

Um kurz vor sieben war ich wieder an der Bäckerei. Ich bekam ein duftendes Brötchen zum Sofortverzehr und das Lächeln einer wunderschönen Bäckereifachverkäuferin. Das trug mich durch die paar Straßen zu meiner Wohnung.

Bevor ich gegen sieben Uhr aufschloss, hörte ich noch einmal hin. Der Verkehr hatte wieder die Macht über die Straßen übernommen. Immer mehr Menschen waren unterwegs, und zwischen ihnen schlurften schläfrige Hundebesitzer ihrem schnüffelnden Online-Partner hinterher. Irgendwo in der Ferne klapperte ein Müllfahrzeug in der inzwischen nur noch relativen Dunkelheit, und als ich den Schlüssel drehte, glaubte ich, eine Amsel singen zu hören. Morgens um sieben. Im Januar. Wer täuschte da? Mein Gehör oder die Amsel, die sich in der Jahreszeit vertan hatte?

Ich kam nicht mehr zur Antwort. Ich dachte nur, wie schön es ist, zu spüren, wie neues Leben in meine Stadt fließt. Düsseldorf erwacht. Ich geh schlafen. Gute Nacht, meine Liebe.

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