Stadt-teilchen Was tun sie, wenn sie nicht zu sehen sind? Wohin verschwinden sie?

Stadt-teilchen Was tun sie, wenn sie nicht zu sehen sind? Wohin verschwinden sie?

Stadt-teilchen Was tun sie, wenn sie nicht zu sehen sind? Wohin verschwinden sie?
Foto: Stefan Arend

Düsseldorf.

Rolltreppe Rolltreppe, Eisen und Stahl / Rolltreppe Rolltreppe, sinnlos brutal.“ So thematisierte Ende der siebziger Jahre die Düsseldorfer Punkband Male, was so manchem U-Bahn-Bauer und -Nutzer dieser Tage ein bisschen Sorge bereitet. Mal laufen sie, mal laufen sie nicht, die Rolltreppen. Mal funktioniert das mit dem Eisen und dem Stahl, manchmal ist es aber auch nur sinnlos brutal, wenn man sich die steilen Stufen erobern muss, weil sie stillstehen.

Aber so ist das Leben nun mal, voll mit Unwägbarkeiten. Wie hieß noch der zugehörige Male-Song? „Risikofaktor 1:x.“ Dabei gibt es in Wahrheit doch nichts Schöneres als Rolltreppe fahren. Den Raum diagonal zu durchmessen, ohne eigene Kraft aufwenden zu müssen, zu schweben ohne Müh. Rolltreppen sind die fliegenden Teppiche des kleinen Mannes. Sie heben den Menschen heraus aus der Müh der Fortbewegung. Man lässt sich chauffieren. Von einem Stockwerk zum anderen.

Rolltreppen verschaffen Muße, Zeit zum Träumen, zum Innehalten. Rolltreppen sind Oasen der Besinnung in einer Wüste der Hektik. Für Sekunden schaltet der Bewegungsapparat ab, übernehmen die Augen die Alleinherrschaft. Die Augen, sie schweifen, sie schauen, wie andere Menschen auch Rolltreppe fahren. Ich aufwärts, die anderen abwärts. Wie erhaben sich das anfühlt. Wie weit der Blick schweifen kann, wenn der Körper Pause hat.

Leichter kann man seinen persönlichen Aufstieg kaum planen. Auf kleinstem Raum kann man riesige Höhenunterschiede überwinden. Eben noch unterirdisch unterwegs, steigt der Mensch am U-Bahnhof Heinrich-Heine-Allee auf zur Kö, biegt ab, fährt bei P & C hoch in die vierte Etage. Von solchen Beförderungsmöglichkeiten träumen die Bergsteiger am Mount Everest nur. Die Fahrt lädt ein zur genauen Betrachtung. Vor mir die Stufen, die unaufhaltsam emporstreben, bevor sie sich am Ende wieder flach machen, sich zu einer Fläche formen und verschwinden. Wohin verschwinden sie? Was tun sie, wenn sie nicht zu sehen sind?

Sie kommen wieder, ich weiß das. Als kleiner Junge war ich schon mal auf einer Rolltreppe, im alten P & C-Gebäude. Da sollte ich ganz oben Karten besorgen für die DEG. Weil ich aber mittags Bohnen gegessen hatte, die wohl nicht ganz gut waren, fühlte ich mich hundeelend. Irgendwo zwischen dem zweiten und dritten Stock kam es dann zum Malheur. Ich ließ mir die Bohnen noch einmal durch den Kopf gehen. Ich bestaunte das Erbrochene und sah fasziniert, wie es mit den Stufen verschwand. Wie benommen stand ich da oben und schaute fasziniert auf die heranrauschenden Stufen. Ich hörte das gleichmäßige Klacken der Mechanik, das beinahe hypnotisierende Rauschen, und irgendwann kamen meine Stufen wieder zum Vorschein.

Nur winzige Reste meiner Hinterlassenschaft waren noch zu sehen, und die Frage, was eine Rolltreppe macht, wenn sie nicht zu sehen ist, wurde noch größer, leider aber auch nie beantwortet. Fest steht nur, dass ich seitdem keine Bohnen mehr mag.

Rolltreppen mag ich aber nach wie vor. Am liebsten die im Kaufhof an der Kö. Das sind meine liebsten. Das ist die Königsklasse. Zwei Treppen führen hinauf, zwei hinab, alles parallel. Die freie Auswahl. Hier hoch, dort runter. Wann immer ich an dieses riesige Loch mitten im Gebäude trete, bieten mir die Rolltreppen sanften Transport an. Dann schwebe ich rauf und runter, und ich fühle mich gelegentlich ein wenig abgehoben.

Die rollenden Treppen adeln mich. Es ist wahrscheinlich die Eleganz einer Rolltreppe, die mich so fasziniert. Ja, die Eleganz. Keine Spur von „sinnlos brutal“. Manchmal können auch Punkbands irren.

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