Hebammenmangel „Eine Schwangerschaft sollte nicht mit dem Gekloppe um eine Hebamme beginnen“

Düsseldorf · 1981 erfolglose Anfragen nach einer Hebamme gab es 2019. Hebamme Marie-Isabel Wojaczek bietet in ihrer Praxis am Staufenplatz eine Sprechstunde für Frauen im Wochenbett an.

 Marie-Isabel Wojaczek eröffnete 2018 ihre Praxis am Staufenplatz. In ihrer Hebammensprechstunde versorgt sie Mütter im Wochenbett. Es gibt noch freie Plätze.

Marie-Isabel Wojaczek eröffnete 2018 ihre Praxis am Staufenplatz. In ihrer Hebammensprechstunde versorgt sie Mütter im Wochenbett. Es gibt noch freie Plätze.

Foto: Ines Arnold

In der fünften Woche ihres Garten- und Landschaftsarchitektur-Studiums stellte Marie-Isabel Wojaczek fest, dass sie etwas anderes will. „Ich wusste zumindest, was ich nicht will: Routine. Ein Nine-to-Five-Job ist für mich nicht vorstellbar. Ich plane lieber jeden Tag neu“, sagt sie. Mit der Aussicht bis zur Rente Hebamme zu sein, kann die 30-Jährige nun wunderbar leben. „Das ist eine sehr schöne Vorstellung“, sagt sie. „Ich liebe diesen Beruf.“

2018 gründete die ausgebildete Hebamme mit Erzieherin Silke Eisheuer die Hebammenpraxis „Poppy & Lilu“ an der Grafenberger Allee. Sie verbirgt sich unter dem Dach des Bürogebäudes mit der Hausnummer 368. In der obersten Etage des gefliesten Treppenhauses führt hinter einer unscheinbaren Tür eine Holztreppe hinauf in die Dachgeschosswohnung. „Hebamme Marie“, wie sich die 30-Jährige selbst vorstellt, steht in der Küche und rührt in ihrer Kaffeetasse. Hund Gnocchi schläft nebenan zusammengerollt im kleinen Büroraum. Der Kursraum, das Herzstück der Praxis, ist seit Wochen leer. Dort wo früher Babys massiert wurden, Kleinkinder herumkrabbelten oder Mütter bei Rückbildungsgymnastik oder Fitness schwitzten, kehrt nur langsam wieder Leben ein. Die meisten Kurse werden zurzeit virtuell abgehalten, einzelne können unter Einhaltung der Abstandsregeln aber auch wieder stattfinden.

Für die Kurse hat sich Marie-Isabel Wojaczek von Beginn an verschiedene Dozenten ins Boot geholt, sie selbst übernimmt Geburtsvorbereitungs- und Rückbildungs- und Babymassage-Kurse. Außerhalb der Praxis betreut sie darüber hinaus noch monatlich vier schwangere Frauen vor und nach der Geburt. Wie eklatant der Hebammenmangel ist, spürt sie jeden Monat, wenn sie mindestens 20 Frauen auf der Suche nach einer Nachsorgehebamme eine Absage erteilen muss. „Ich habe die Praxis gegründet, damit ich nicht mehr so oft im Auto sitzen und von einem Ort zum nächsten fahren muss. Dementsprechend nehme ich nur noch Frauen an, die ich von zu Hause mit dem Fahrrad gut erreichen kann, die also in Oberbilk, Bilk oder Friedrichstadt wohnen“, sagt sie.

Zur Sprechstunde kommen die Schwangeren in die Praxis

Um aber dem Hebammenmangel entgegenzuwirken, hat sich die 30-Jährige bei der Praxisgründung am Staufenplatz in Grafenberg am niederländischen Modell der Schwangerenversorgung orientiert und eine Hebammensprechstunde eingerichtet. „Damit kann ich viel mehr Frauen betreuen, die ansonsten komplett ohne Hebamme dastehen würden“, sagt sie. Das Modell sieht vor, dass die Schwangeren für die kompletten Nachsorgetermine in die Praxis kommen. Alle Besuche werden wie bei der Betreuung zu Hause von der Krankenkasse übernommen. „Alles ist gleich, nur der Ort ist ein anderer“, erläutert sie. Für die 26 Nachsorgetermine während des Wochenbetts bleiben 45 Minuten Zeit. Auch auf 14 Schwangerenvorsorgetermine haben Schwangere Anspruch – die können sie entweder beim Gynäkologen wahrnehmen oder eben bei der Hebamme. „Für die Schwangerenvorsorgetermine haben wir hier dann sogar eineinhalb Stunden Zeit, beim Frauenarzt dauern sie in der Regel nicht länger als 20 Minuten.“. Hinzu kommen acht Termine in der Zeit zwischen Wochenbett und dem 9. Monat des Kindes, wenn es um das Thema Beikost geht. „Hilfe bei Beschwerden gibt es sogar Open-End.“

Die Sprechstunde ist nicht ausgebucht. „Ich glaube, die meisten Frauen kennen die Möglichkeit einfach nicht“, sagt sie. Denn: Auch wenn die meisten Frauen im Wochenbett lieber zu Hause betreut werden, viele würden den Besuch in der Hebammenpraxis einer fehlenden Versorgung vorziehen. „Die Frauen, die zu mir kommen, finden es dann doch ganz reizvoll, mal aus den eigenen vier Wänden rauszukommen. Sie trinken hier ihren Tee und fühlen sich sehr wohl“, sagt Wojaczek.

2019 konnte laut Auskunft der Hebammenzentrale Düsseldorf 1981 Anfragen nach einer Hebamme nicht entsprochen werden. In 2018 waren es 1674, in 2017 923 und im Jahr 2016 711 Anfragen. Auch Marie hört mittlerweile immer wieder in ihrem Umfeld, dass schwangere Frauen 40 verschiedene Hebammen vergeblich anschreiben. „Eine Schwangerschaft sollte so nicht anfangen – mit dem Gekloppe um eine Hebamme.“ Anfang 2019 waren beim Gesundheitsamt Düsseldorf insgesamt 149 Hebammen gemeldet. Davon waren 117 Hebammen freiberuflich tätig. Hinzu kommen Hebammen, die nicht in Düsseldorf ihren Wohnsitz haben, aber in Düsseldorf tätig sind.

Die Hebammenzentrale ist eine von der Stadt finanzierte koordinierende Stelle, die dafür sorgt, dass die Hebammensuche für Frauen und Hebammen effektiv und mit weniger Arbeit verbunden ist. Auch Marie-Isabel Wojaczek empfindet die Hebammenzentrale als eine große Hilfe bei der Suche nach einer Hebamme. „Das Problem an der Sache ist aber, dass die Frauen nicht darüber aufgeklärt sind, wie früh sie sich um eine Hebamme kümmern müssen“, sagt sie. Ärzte müssten dringend darauf hinweisen, dass mit dem positiven Schwangerschaftstest die Suche nach einer Hebamme beginnen sollte. „Das ist schrecklich, aber Tatsache, weil der Mangel so enorm ist“, sagt sie. „Frauen sollten nicht in Woche sechs schon das Gefühl haben, versagt zu haben, weil sie keine Hebamme mehr finden. Es ist aber traurige Realität.“

In den vergangenen Monaten musste sich Marie-Isabel Wojaczek  auf einige Veränderungen einstellen. Nicht nur die Kurs- und Praxisabläufe wurden komplett umgestellt und ein Hygienekonzept erarbeitet, Wojaczek verliert auch ihre Geschäftspartnerin, mit der sie vor nur eineinhalb Jahren die Praxis auf die Beine stellte. Silke Eisheuer zieht der Liebe wegen in die Schweiz. „Das ist okay. Die Liebe hat sie kalt erwischt“, sagt „Hebamme Marie“ und grinst. Sie selbst hat es 2015 aus demselben Grund nach Düsseldorf verschlagen. Auch wenn die Liebe nicht hielt — die Stadt hat es der gebürtigen Brandenburgerin angetan. Die Vorstellung, bis zur Rente in Düsseldorf Hebamme zu sein, sei deshalb nicht ganz abwegig.  

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