Interview Schwanensee in Düsseldorf: Wie gelingt eine moderne Version?

Die Aufregung um Martin Schläpfers Schwanensee ist groß. Wie wird sich der Choreograf dem Werk nähern? Bühnenbildner Florian Etti erklärte uns seinen Zugang.

Düsseldorf. Am 8. Juni feiert Martin Schläpfers Umsetzung von Tschaikowskys Schwanensee Premiere im Opernhaus Düsseldorf. Ein zentraler Ankerpunkt für die Interpretation sind hierbei auch das Bühnenbild und die Kostüme, die wie bei anderen Produktionen Schläpfers erneut von dem namhaften Ausstatter Florian Etti geschaffen wurden.

Wir sprachen mit ihm über seine Zusammenarbeit mit Schläpfer, seinen Zugang zu Tschaikowskys Ballett und die Paradigmen seiner Arbeit. Dabei wurde es auch philosophisch.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Martin Schläpfer?

Florian Etti: Ich habe fast zwanzig Jahre mit Heinz Spoerli gearbeitet, das ist der andere große Schweizer. Unsere erste Zusammenarbeit war seine letzte Neukreation hier in Düsseldorf 1996. Das war ein Abend über den Maler Pontormo. Ich habe neulich wieder nach zwanzig Jahren ein Video gesehen, es hatte eine große Kraft. Das war eine Mischung aus zeitgenössischer Musik und ganz alter Musik. Da hat überhaupt meine Ballettarbeit angefangen. Martin habe ich in Mainz kennengelernt. Er kennt natürlich Spoerlis Arbeiten. So kam das zusammen.

Dann hat er Sie angesprochen?

Etti: Ich habe in Mainz noch mal mit einem anderen Choreographen bei Martin gearbeitet und als es klar wurde, dass er nach Düsseldorf geht, ging es ganz schnell.

Lassen Sie uns über den Schwanensee sprechen. Welchen Zugang haben Sie beide gewählt?

Etti: Bei den allermeisten Theater- oder Opernregisseuren oder auch Choreografen habe ich immer erst mal Freiheit. Das finde ich schön. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum ich am Theater bin, weil das einfach ein Freiraum ist. Die Leute, die eine Qualität haben, verlassen sich darauf, dass ich selber denke, und dass sich eine Reibefläche ergibt. Das vermehrt das Material und macht es nicht kleiner. Zum Zugang zu Schwanensee: Wenn man ganz simpel der Geschichte folgt, dann hat man diese Hofgesellschaft. Die Mutter kommt am Anfang auf die Szene und sagt: „Ihr könnt hier nicht rumspielen, dein Vater ist erst vor ein paar Tagen gestorben und außerdem habe ich für dich drei neue Prinzessinnen, die kommen morgen auf die Party. Da musst du dir eine aussuchen, damit das Leben weitergeht.“ Das ist die Ausgangssituation. Diese Form von „on with the show“, der Vermehrungszwang, ist natürlich gruselig. Die Mathematik, die Folgerichtigkeit, die Vernunft, die hier dargestellt ist, beschreibt etwas, das eine Plattform für das Märchen ist, das dann kommt. Auf der einen Seite gibt es das Märchen und auf der anderen Seite gibt es auch das Bedürfnis nach diesem Märchen. Die Verschraubung dieser beiden Wirklichkeiten, die Schnittstelle davon, ist sehr interessant. Man kann einer relativ gängigen Romantiktheorie folgen, die die Romantik als Antwort auf Aufklärung beschreibt.

Wie kann man das bildlich darstellen?

Etti: Das geht — vielleicht nicht eins zu eins. Aber letztendlich ist das mein Konzept. Ich habe für den ersten Akt die Situation mit dem leeren Herrscherhaus geschaffen, die Notwendigkeit, dass es weiter geht. Mit den Kostümen kann man dann das Bedürfnis von den Jungs, da auszubrechen, weiter ausformulieren. In diese Situation kommt die Mutter rein. Und sagt „Schluss mit Lustig, weiterzeugen!“

Sie beschreiben eine Welt mit einem Bruch?

Etti: Die Welt selber ist von der Notwendigkeit geleitet. Es muss weiter gehen und gegen dieses Weitergehen stemmt sich Siegfried und geht auf die Jagd - als Ausdruck dafür. Auf der Jagd begegnen ihm als Schwäne verzauberte Frauen. Normalerweise mit Tutus bekleidete Wesen. Das ist einfach eine Form von Fragilität und Unschuld. Die Logik des sich Fortpflanzens wird durchbrochen und mit einer Poesie aufgeladen.

Gibt es eine bestimmte Zeit, in die sie das einbetten? Eine bestimmte Assoziation, die sie bei dem Publikum evozieren wollen?

Etti: Klar, könnte man auch mit der Zeit von Tschaikowsky umgehen, viele machen das ja auch. Ich wollte erst mal das Heute beschreiben. Es sind heutige Kostüme, ich versuche, mit Mode umzugehen. Mode hat die Möglichkeit mit Formen zu spielen, ohne eine Realität missen zu lassen. Zwischendurch gibt es historische Zitate und somit die Möglichkeit, ein Spiel mit reinzubringen, ohne dass es angestaubt oder historisierend ist. Mode als Ausdruck der Menschen bietet die Möglichkeit theatraler zu formulieren, mit einer Geschichtlichkeit umzugehen, ohne dass man eine Realität verlässt. Es wirkt dann nicht wie mit der Axt festgezurrt.

Und wie genau gelingt das?

Etti: Bei diesem Stück mit dieser Rezeptionsgeschichte ist es eine Gratwanderung. Kann man eine Feder benutzen? Eine Feder? Nein, eher nicht. Es ist so schwer. Man ist sofort bei Karneval der Tiere oder Karl May und glaubt es dann nicht mehr. Das Poetische muss man anders herstellen. Mit der Mode kann man das in die eine oder andere Richtung öffnen, ohne dass es reine Bühnenkostüme werden.

Was verstehen sie genau unter Mode?

Etti: Mode meine ich nicht so sehr im Sinne von: Oh, da ist jemand elegant. Ich meine Mode als Ausdrucksform, die wiederum rückwirkend eine Person beschreibt. Als Projektionsfläche. Die Tänzer lieben das, weil es nicht so „kostümierend“ ist und plötzlich sind sie tatsächlich Figuren. Das hat auch mit dem Ensemble selbst zu tun. Es ist ein Ensemble mit Charakter und das will ich in den Kostümen reflektieren. Sie sind alle individuell. Die Geschichte wird erzählt, aber ich arbeite nicht gegen die körperliche Struktur des Ensembles.

Sie nehmen das, was da ist und formen etwas daraus?

Etti: Auch bei den Choreografien von Martin Schläpfer ist jede Seele ausformuliert. Mit all ihren Stärken, Schwächen und so weiter. Es ist vielfach aus dem Ensemble herausgearbeitet.

Wie wichtig ist ihnen die Musik bei ihrer Konzeption?

Etti: Klar, Tschaikowsky ist für mich kein Gustav Mahler. Es ist aber trotz allem im Zusammenhang mit dem Inhalt sehr gute Musik. Natürlich mit ihren Tücken, mit ihrem Schlagerhaften, wenn man so will.

Gibt es etwas was wir vor der Premiere noch unbedingt erfahren sollten. Einen Schlüssel?

Etti: Vielleicht, dass man in Analogie zu Siegfried sich auf jeden Fall auf ein Abenteuer einlassen sollte. Siegfried geht heraus auf die Jagd und trifft Marsmenschen, oder so was, oder Schwäne.

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