„Schalt das Handy mal ab“: Kinder brauchen eine Sendepause

„Schalt das Handy mal ab“: Bei einem Infoabend wird klar, dass die Eltern oft das Problem sind.

„Schalt das Handy mal ab“: Kinder brauchen eine Sendepause
Foto: dpa

Düsseldorf. Dick und doof macht das Handy Kinder, süchtig und einsam — so warnen die pädagogischen Kritiker der digitalen Totalwelt. Alles Quatsch, das Smartphone bietet Kindern alles was toll und interessant ist, sie können damit prima lernen und überhaupt: Ohne geht nix, kontern die Beschwichtiger. Immer mehr Eltern von immer jüngeren Kindern wollen es genauer wissen: Wann ist ein Smartphone sinnvoll, wie oft und wie lange sollen sie es nutzen? Was ist gefährlich, was schädlich? „Sendepause — schalt mal ab“ — der jüngste Elternabend unter diesem Titel, bei der AOK Rheinland / Hamburg an der Kasernenstraße, war ausgebucht.

In mehreren Düsseldorfer Schulen wollen Kinder und Jugendliche den Kopf wieder frei kriegen. Bei „Sendepause“ versuchen ganze Klassen, das Smartphone so wenig wie möglich zu nutzen, zuletzt waren da das „Marie Curie“ oder „Leibniz-Montessori“ sehr erfolgreich. Und am Max-Planck-Gymnasium erklären regelmäßig junge Medienscouts den richtigen Umgang mit Smartphone und Co.

Für den Elternabend an der Kasernenstraße war Medienpädagogin Kristin Langer als Expertin dabei. Sie verteufelte das Handy nie, relativierte gleichwohl dessen Bedeutung für ein gelingendes Leben immer wieder. Zunächst einmal listete sie die größten Sicherheitsrisiken (Datenschutz, Recht am Bild, Schutz der Privatsphäre, Kostenfallen) auf. Dann gab’s aktuelle Statistik: Knapp 300 000 Jugendliche in Deutschland sind internetsüchtig (mehr Mädchen, die vor allem von sozialen Netzwerken abhängig, während Jungs eher spielesüchtig sind).

Manchmal scheinen Zahlen gar stark untertrieben: So gibt es laut einer Studie angeblich nur in jeder vierten Familie Streit über den Handy-Umgang. Was? In 75 Prozent der Haushalte soll nicht regelmäßig der verzweifelte Ruf „Gib sofort das Ding her“ ertönen?

Die Medienpädagogin hat die Erfahrung gemacht, dass es oft die Erwachsenen sind, die früh das Smartphone für ihr Kind wollen, weil sie sich dann sicherer fühlen. Wie vernarrt auch viele Eltern in ihr Handy, zeigte sich rasch. Als Langer fragte, wie es mal ganz ohne Handy wäre, stöhnte eine Mutter entsetzt auf („Fürchterlich“), während einem Vater nur einfiel, sich sofort ein neues zu besorgen. Da wird klar, dass handsüchtige Kinder oft auf Mama und Papa kommen. Dabei bräuchte es kein Kind unter 12, 13 Jahren und niemand müsse sich auch ungewollt in irgendeine Whats-App-Klassengruppe zwingen lassen nach dem Motto „Sonst kriegst du nix mit“, sagt Langer: „Eltern sollten sich vorab verständigen, wie eine faire Kommunikation für alle in der Klasse läuft.“

Die Expertin verschreibt keine Rezepte für den richtigen Digitalkonsum, aber sie nennt Faustregeln: Pro Lebensjahr eine Stunde in der Woche vor dem Bildschirm, egal, wie groß der ist. Zehnjährige dürften demnach zehn Stunden in der Woche oder knapp anderthalb am Tag „on“ sein. „Wochen- sind besser als Tageskontingente“, rät Langer, so lernen Kinder, sich die Zeit einzuteilen. Bis zum Alter von elf, zwölf Jahren sollten Eltern jedoch Zeiten und Regeln vorgeben — und das Handy ihren Kindern auch wegnehmen, weil die allein oft nicht aus der Faszination des Spiels oder Chats herausfänden, sagt die Expertin: „Aber Sie müssen die Kinder zu einem eigenverantwortlichen Umgang bringen. Stellen Sie 14-Jährigen bitte keine Eieruhr mehr hin, lassen Sie die digitale Hundeleine los.“

Sie könne gar nicht abschätzen, wie viele Bilder und Filmchen meine Kinder am Tag sehen“, sagte beim Elternabend Mutter von zwei Teenagern (13, 16). „Ich fürchte nur, dass das Handy ihnen enorme Kopf-Kapazitäten raubt.“

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