Rheinbahn: Die Hilflosigkeit sitzt immer mit am Steuer

In diesem Jahr gab es erneut viele Unfälle mit Beteiligung von Straßenbahnen. Die Fahrer sind aber meist nicht schuld.

Düsseldorf. Nicht einmal mit vollem Tempo rollt die Straßenbahn über die Bonner Straße, als vor ihr plötzlich ein Jeep nach links ausschert - direkt auf die Schienen. Der Fahrer will eine Reihe rechts abbiegender Autos überholen. Jörg Junkermann am Steuer der Bahn presst seinen Daumen auf die Warnklingel, mit links zieht er den Bremshebel bis in die letzte Raste. Die Bahn bremst mit aller Kraft, ruckelt. Zum Glück schwenkt der Jeep zurück auf seine Fahrspur. "Das war ein kleiner Adrenalinstoß", sagt Junkermann.

Der 47-Jährige ist seit 1989 Rheinbahn-Fahrer. Brenzlige Situationen nennt er Tagesgeschäft. Zwölf oder 13 schwere Zusammenstöße mit Autos hatte er schon. Zum Glück blieb es immer beim Totalschaden der Wagen - Schwerverletzte gab es nie. "Schuld war ich nicht ein einziges Mal", sagt Junkermann.

So ist es meist: Bei 148 Unfällen mit Beteiligung von Straßenbahnen 2008 war diese nur 24 Mal Verursacher. Für die Fahrer der Rheinbahn ist dieser Fakt nur wenig beruhigend. Denn bei 130 der Zusammenstöße wurden Menschen verletzt, zwei starben. "Ich kenne Kollegen, die nach einem solchen Erlebnis in der Wagenhalle mit kaltem Schweiß auf der Stirn vor einer Bahn standen", berichtet Junkermann. "Etliche hängen den Job an den Nagel."

Jörg Junkermann, Bahnfahrer

Auch bei Jörg Junkermann fährt das Gefühl der Hilflosigkeit immer mit. "Wenn ich den Hebel gezogen und die Gefahrenbremsung eingeleitet habe, ist meine Gewalt am Ende", sagt er. Dann ist er nur noch Zuschauer, während der 40 Tonnen schwere Koloss sich weiter auf das Auto vor ihm zu bewegt. "Es ist ein skurriles Gefühl", sagt er. "Sie wissen, wann Sie das Auto treffen, Sie hören es - aber Sie spüren nichts. Wie ein Messer durch warme Butter."

Inzwischen hat sich Jörg Junkermann den "Straßenbahnerblick" angewöhnt. Auf jedem Meter, den er fährt, rechnet er im Kopf aus, wo seine Bahn zum Stehen käme, wenn er schnell bremsen müsste. Bei 50 km/h bräuchte er fast 50 Meter - dreimal so lang wie ein Auto.

Heute fährt er auf der Linie 701 - und prüft die Strecke von Benrath bis Rath unablässig mit seinem Straßenbahnerblick. Will auf der Benrather Schlossallee ein Auto aus der Reihe parkender Wagen ausscheren? Auf der Kölner Landstraße humpelt eine Seniorin direkt vor der Bahn noch über die Gleise. Junkermann klingelt. "Die Warnblinkanlage ist an!", schimpft er. "Und sie guckt mich nicht mal an ..." An der Kreuzung Corneliusstraße/Fürstenwall stehen Linksabbieger auf den Schienen. Junkermann muss bremsen. Zwei Ampelphasen steht er, bis die Autos weg sind. "Drei Minuten Verspätung hat mir das jetzt eingebracht", liest er vom Display ab. "Sicherheit geht halt vor." Dass ihm keiner der Fahrgäste an der nächsten Station dafür danken wird, weiß er.

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