Rettet die Würde der Telefonzellen!

Telefonzellen sterben einen langsamen Tod. Eine Glosse von Frank Lorentz.

Vor ein paar Tagen hatten wir Gäste zum Abendessen, ich bin immer noch nicht darüber hinweg. Andersherum, sorry, ich muss weiter ausholen. Vor ein paar Wochen waren wir Gäste bei einem Abendessen. Die Tochter des Hauses, dreizehn Jahre, erzählte von der Geburtstagsfeier ihrer Freundin, die voll langweilig gewesen sei, weil alle nur rumgesessen und mit ihren Telefonen gespielt hätten.

Dann hatten wir also selber Gäste zum Abendessen — zwei Frauen, ein Mann, alle in den Dreißigern, keine engen Freunde, gute Bekannte. Kaum saßen sie am Tisch, kramten sie ihre Telefone hervor und fingen an, ein Parallelleben zu führen: Facebook, Twitter, SMS, das volle Programm.

Meine Frau servierte ein fantastisches Boeuf Bourguignon mit Selleriekartoffelpüree, und um den Tisch herum drei präpubertäre Telefonzombies, die dauernd auf das Display ihres Telefons schielten, das neben dem Teller lag, als gehörte es zum Besteck.

Ich frage: Hatten sich früher die Leute getraut, wenn sie irgendwo zu Gast waren, ein Buch auf den Tisch zu packen und seelenruhig darin zu lesen? Nein? Aber heute am Telefon rumfummeln und dauernd halb abwesend sein, das ist okay?

Ich bin kein Reaktionär der Kommunikationskultur. Ich besitze ein iPhone 5 (mein altes HTC war besser) und gehöre zur Post-Facebook-Generation, das sind die, die sich Facebook abgewöhnt haben. Ist mir egal, wenn Leute meinen, kraft der Segnungen der Smartphone-Industrie zu Soziopathen degenerieren zu müssen.

Und mag auch sein, dass das abendliche Sozialverhalten unserer Gäste Ausdruck der „Shareconomy“ ist — jenes globalen Trends, dem zufolge immer mehr Menschen lieber teilen als besitzen. Während man früher die reale Anwesenheit eines Menschen exklusiv haben konnte, muss man sie wohl inzwischen mit zig anderen in einem digitalen Irgendwo teilen. Aber die Respektlosigkeit dem Boeuf Bourguignon gegenüber und vor allem der Köchin, meiner Frau — das, Freunde, ging zu weit.

Dem Trend zur Multi-Channel-Kommunikation gehört der Wecker gestellt, weshalb ich an die Kö und die Telekom appelliere, entsprechende Schritte einzuleiten, und zwar folgende. Für alles und jedes wird heutzutage ein Denkmal errichtet. Man errichte bitte eins für die untergegangene Kultur der One-Channel-Kommunikation, oder besser, sicher ist sicher, gleich fünf Denkmäler.

Als Standorte empfehlen sich die fünf Telefonzellen auf der Kö, zu finden vor Tiffany, Starbucks, Zegna, COS und Comptoir des Cotonniers. Diese fünf alten Zellen (allein das Wort — früher telefonierte man in einer Zelle! Kommunikation als Gefängnis!) haben schon lange, lange keinen Nutzer mehr gesehen. Alle Telefonzellen dieser Erde sterben einen langsamen Tod, aber auf der Kö wird er besonders anschaulich — aus dem einfachen Grund, weil die Kö für das Gegenteil des Sterbens steht: für das ewige Up-to-date-Sein.

Hast du schon einmal dem Klagegesang der Telefonzellen gelauscht? Zieh die Tür des Häuschens vor Comptoir des Cotonniers auf — ein lang gezogenes klägliches dunkles Tuten, wie der letzte Ruf eines alten Wals, dem hundert Harpunen im Leib stecken. Die fünf Zellen sind denkmalwürdig, weil sie eine Parabel aufs Leben sind: Du kannst dich noch so lange für ein Zentrum der Kommunikation halten — wenn du Pech hast, ist am Ende keiner mehr da, der zu dir will.

Zudem wird in einer Zeit, da jedermann mit dem Mobiltelefon zugange ist, erst richtig deutlich, welch große zivilisatorische Kraft von den Zellen ausging: Sie zwangen die Menschen, sich auf ein einziges Gespräch zu konzentrieren. Eine Telefonzelle konnte man nicht einfach so mitnehmen zu einer Abendeinladung, um sie dort neben den Esstisch zu stellen und erst einmal eine halbe Stunde da drin zu verschwinden.

Ich fordere daher: Rettet die Würde der Telefonzellen auf der Kö! Gucci, Armani & Co. kleiden die Teile bitte neu ein (sponsored by Telekom), auf dass sie ein Hingucker sind und jeder Passant kapiert, wie vergänglich die Art und Weise ist, wie wir miteinander reden.

Ist das jedermann klar, schlägt die Geburtsstunde des Trends zur nachhaltigen Kommunikation, dessen wichtigste Maxime besagt, mit dem wertvollen Mix aus Senden und Empfangen sorgsam umzugehen, Verzicht zu üben und nicht immer auf allen Kanälen mitzuquatschen. Zumindest dann nicht, wenn wir eingeladen haben und meine Frau Boeuf Bourguignon kocht.

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