Bildung in Düsseldorf Starthilfe für Einwanderer-Kinder

Düsseldorf · Ein Projekt macht Schule: „MentForMigra“ bringt Mentorinnen und Kinder aus Einwandererfamilien zusammen.

 Heike von Westphal hilft als ehrenamtliche Mentorin begabten Schülerinnen und Schülern aus Einwandererfamilien.

Heike von Westphal hilft als ehrenamtliche Mentorin begabten Schülerinnen und Schülern aus Einwandererfamilien.

Foto: Endermann, Andreas (end)

Der erste Eindruck: ein fröhliches Mädchen, akzentfreies Deutsch, differenzierte Sprache, sicheres Auftreten – wer sie sieht und reden hört, mag es kaum glauben: Shefali (Name von der Redaktion geändert) lebt erst seit sieben Jahren in Düsseldorf. Sie kam mit ihrer Mutter und zwei Schwestern aus Bangladesch – mit Umweg über Italien. Auf ein Gymnasium zu gehen, wäre für sie damals ein ferner Traum gewesen. Heute ist Shefali (16) ein selbstbewusster Teenager und eine Top-Schülerin am Humboldt-Gymnasium. Ihre Erfolgsgeschichte verdankt sie ihrem Fleiß – und dem Mentoren-Projekt „MentForMigra“, das gerade in Düsseldorf und anderen Städten Schule macht.

Cem Özdemir, Bundesminister mit türkischen Wurzeln, hat seine Geschichte oft erzählt. Wie einst der Lehrer in der Grundschule fragte, wer aufs Gymnasium will, Özdemir sich meldete – und nur ein Lachen erntete. Wie er von der Hauptschule zur Realschule wechselte und es doch noch schaffte, einschließlich Studium. Und er berichtet von Frau Naumann, die ihn unterstützte und ihm Nachhilfe gab: „Sie war meine Rettung.“

Herkunft als Bildungsbremse: Was Özdemir schildert, erleben viele Kinder aus Einwandererfamilien. „Sie brauchen Türöffner“, sagt Dorothee Kettner, Gründerin der Initiative „MentForMigra“. Die Lehrerin und dreifache Mutter lernte vor mehr als zehn Jahren einen Jungen aus Togo kennen, begabt und wissbegierig, der die dritte Grundschulklasse eine ihrer Töchter besuchte. „Seine Eltern sprachen damals kaum Deutsch, sie hätten es nicht gewagt, ihr Kind an einem Gymnasium anzumelden.“ Moubarak wurde ihr erster Schützling. Sie machte ihm Mut, stärkte sein Selbstbewusstsein, nahm die Familie zu Info-Abenden mit – und begleitete sie schließlich zum Anmeldetermin am Humboldt-Gymnasium. Aus dieser persönlichen Erfahrung keimte die Idee, die Initiative zu gründen, die anfangs bei den Behörden auf wenig Interesse stieß. Aber gemeinsam mit Volker Syring, Schulleiter des Humboldt-Gymnasiums und erklärter Verfechter der Chancengerechtigkeit, beschloss Dorothee Kettner 2015: „Dann starten wir einfach mal.“ Sie fand andere Eltern an der Schule, die ebenfalls bereit waren, Einwandererkindern den Sprung zum Gymnasium zu erleichtern. Heute sind mehr als 140 ehrenamtliche Mentoren und Mentorinnen in Düsseldorf, Neuss und Viersen aktiv, die ihre Schützlinge regelmäßig treffen, feste Ansprechpartner sind, „auch wenn es mal hakt“. Oder die dabei helfen, Anträge auf Lernhilfe zu stellen, wenn Nachhilfe oder andere Unterstützung notwendig sind.

Zu ihnen zählt auch Heike von Westphal, die Shefali seit 2015 begleitet. Ihre erste Tat damals: „Gemeinsam den Mitgliedsausweis für die Stadtbibliothek zu besorgen.“ Denn neben allen anderen Hilfen gehören das tägliche Lesen, das Notieren von schwer verständlichen Wörtern und der Umgang mit Lexika zum Programm. „Die Kinder erschließen sich dadurch allmählich einen größeren Wortschatz in der Bildungssprache“, sagt Heike von Westphal. Also der Sprache, die in den Büchern am Gymnasium üblich ist, aber auch in Briefen von Schule und Behörden. Heute bewältigt Shefali ihren Schulltag längst in eigener Regie, aber ihre Mentorin trifft sie gelegentlich immer noch, sagt sie: „Als ich aufs Gymnasium kam, war ich total verunsichert, aber im Laufe der Zeit bin ich immer selbstbewusster geworden. Meine Mentorin ist eine meiner wichtigsten Vertrauenspersonen, ohne sie hätte ich das alles nie geschafft.“

Aber auch die Initiative, die Mentees auswählt und Mentoren ausbildet und begleitet, hat mittlerweile Unterstützer gefunden. So finanzieren die Ilse-Bagel-Stiftung, die Stadt Düsseldorf und das Ministerium für Schule und Bildung die Projektkoordination. Doch nun würden dringend weitere Mittel gebraucht, um mehr Jungen und Mädchen fördern zu können. „Sonst geraten wir an die Grenze des Machbaren“, sagt Dorothee Kettner, die in den vergangenen Jahren alle Hauptschulen in Düsseldorf auf der Suche nach talentierten Kindern aus Einwandererfamilien anschrieb. Mit ausreichenden Fördermitteln könnte „MentForMigra“ außerdem in weitere Städte transportiert werden.

Zu Moubarak, ihrem ersten Schützling, hat Dorothee Kettner noch heute Kontakt. Der Junge aus Togo hat 2019 sein Abitur geschafft – und studiert heute im fünften Semester Logistik an der Uni Dortmund. Shefali, die Sprachen liebt und Bengali, Hindi, Urdu, Deutsch, Englisch und Französisch spricht und nun auch noch Italienisch lernt, hat sich noch nicht entschieden, wie es nach dem Gymnasium weitergeht, ob Ausbildung oder Studium. Aber sie hat nun eine Wahl.

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