Eine Spenderherz-Empfängerin erzählt In Biancas (32) Brust schlägt ein neues Herz

Düsseldorf · Vor einem Jahr bekam die 32-jährige Bianca ein Spenderorgan – aus dem Ausland. Mehr als zwei Jahre hatte sie darauf gewartet. Die Geschichte eines verzweifelten Kampfes.

 Bianca (32) hat zwei Jahre und zwei Monate auf ihr Spenderherz gewartet. Es kam aus dem Ausland - mehr weiß sie nicht.

Bianca (32) hat zwei Jahre und zwei Monate auf ihr Spenderherz gewartet. Es kam aus dem Ausland - mehr weiß sie nicht.

Foto: Bianca

Die Stille war das Allererste, was Bianca auffiel, als sie mit einem neuen Herz in ihrem Körper aufwachte. Am 7. Februar 2019 – vor fast genau einem Jahr. „Geil, kein Klicken mehr im Herzen!“ Das war ihr erster Gedanke. Die junge Frau wird ihn nie mehr vergessen. Danach kamen erst mal keine weiteren – sie war zu stark zugedröhnt mit Medikamenten. Aber dass sie ihre metallische Herzklappe zum ersten Mal seit Jahren nicht hörte, verhieß ihr: Jetzt kann doch alles wieder gut werden. Vielleicht darf ich sogar alt werden.

Bianca – heute 32 Jahre alt – war immer ein aktiver Mensch, fuhr viel Fahrrad, schwamm regelmäßig. Sie steckte vor fünf Jahren gerade im Endspurt ihres Heilpädagogikstudiums, als der Leistungseinbruch kam. Plötzlich hielt sie selbst kurze Strecken auf dem Rad nicht mehr durch. Irgendwann kam sie auch die Treppe zu ihrer Wohnung im zweiten Stock nicht mehr hoch. An ihrem Herz war ein Tumor gewachsen. Gutartig zwar, aber riesengroß. „Zwei Männerfäuste groß“, erklärt sie. Einen Grund dafür gibt es nicht. „Wenn irgendeine Zelle im Körper Bock auf Party hat, dreht sie einfach durch und vermehrt sich“, referiert Bianca locker für den Laien – sie selbst hat sich inzwischen so viel kardiologischen Sachverstand angelesen, dass sie sonst oft klingt wie eine Medizinerin.

Zehn Tage nach der Verteidigung ihrer Abschlussarbeit wurde Bianca von Görlitz ins Dresdener Herzzentrum geflogen und war plötzlich ein Pflegefall. Das war kurz vor Weihnachten. Das folgende Jahr 2016 sollte sie fast vollständig in Kliniken verbringen. Nach einer ersten Operation und einem vorsichtigen Blick auf das Debakel an ihrem Herzen wurde sie nach Bad Oeynhausen ins größte Herzzentrum der Republik verlegt. Mit einer großen Öffnung des Brustkorbes wurde der Tumor entfernt, mit einer zweiten die nervige, klickende Metallklappe und künstliches Gewebe eingesetzt, um den Schaden am Herz zu flicken. Und doch veränderte das Organ sich in der Folge immer weiter durch den hohen Druck, mit dem es gegen die Veränderungen anpumpen musste, „wie ein Ballon, der immer wieder aufgepustet und irgendwann wabbelig wird“, berichtet Bianca.

Irgendwann setzte sich ihr Arzt auf Biancas Bettkante und entschuldigte sich, dass er schlechte Nachrichten überbringen müsse: Mit diesem Herz werde sie nicht mehr lange leben. „Ich war ganz allein, meine Familie 550 Kilometer weit weg“, erinnert sich die Patientin. „In dem Moment bist du erst mal baff.“ Doch rasch siegte in ihr die Hoffnung über Enttäuschung. Ihr starker Glaube half Bianca. „Ich dachte: Gott wird mich doch nicht zwei Herz-OPs überleben lassen, damit ich jetzt hops gehe ...“

Das war Ostern 2016. Die Mediziner wollten Bianca auf die hochdringliche Warteliste für eine Organspende setzen – doch dann hätte sie in der Klinik bleiben müssen. Sie wollte nicht. Monatelang versuchte sie, sich zurück in ihr Leben zu kämpfen. Erst als sie Ende des Jahres zweimal Bronchitis bekam und ihre Herzleistung auf 15 Prozent absackte, ließ sie sich im Leipziger Herzzentrum auf die Warteliste setzen. Allerdings auf die reguläre. „Dann habe ich zwei Jahre und zwei Monate gewartet.“

Was sie in dieser Zeit geschafft hat, ist medizinisch vermutlich kaum zu erklären. Sie blieb im zweiten Stock wohnen, versorgte sich selbst. Sie organisierte ehrenamtlich Jugendgottesdienste in ihrer Gemeinde und bot Hausaufgabenhilfe für junge Flüchtlinge an. Zuletzt suchte sie sich noch einen Minijob an der Ladenkasse. Auf 20 Prozent Herzleistung kämpfte sie sich wieder hoch. Vielleicht half auch das Verlieben: Im Herzzentrum hatte Bianca ihren Freund kennen gelernt, einen Krankenpfleger. Der Einzige, der es bei ihrem Superniedrigblutdruck noch geschafft hatte, ihr Blut abzunehmen – das musste ein Zeichen sein. Und Liebe ist gut fürs Herz. Für ihn zog sie nach Leipzig. Ihr Handy war immer bei ihr. Tag und Nacht. „Aber ich habe mich nie damit unter Druck gesetzt – irgendwann wird alles zur Normalität.“

Erst Anfang des vergangenen Jahres merkte Bianca am Schlagen ihres Herzens – mal stolperte es, dann fühlte es sich an wie ein Maschinengewehr –, dass sie nicht mehr lange durchhalten würde. Trotzdem warf sie der Anruf, der sie früh morgens am 7. Februar weckte, völlig aus der Bahn. „Ich sagte zu meinem Freund: ,Meine Ärztin ist dran. Was soll ich denn jetzt machen?’ Und er meinte nur: ,Na, du willst doch ein neues Herz, oder?’“ Bianca stapfte zu Fuß los zu ihrer Transplantation, verbrachte im OP anderthalb quälende Stunden, bis die Nachricht kam, das Spenderorgan sei geeignet und auf dem Weg zu ihr. Das Herz eines anderen Menschen, der gerade irgendwo gestorben war. „Ich weiß nur, dass es jünger ist als ich und nicht aus Deutschland“, sagt Bianca.

 Biancas Herz kam aus dem Ausland. Das ist typisch, sagt Udo Boeken vom Düsseldorfer Herzzentrum. Schließlich spenden nur wenige Deutsche.

Biancas Herz kam aus dem Ausland. Das ist typisch, sagt Udo Boeken vom Düsseldorfer Herzzentrum. Schließlich spenden nur wenige Deutsche.

Foto: UKD

Letzteres ist typisch, weiß Udo Boeken. Er transplantiert Herzen in der Düsseldorfer Uni-Klinik – 34 waren es im vergangenen Jahr, damit ist das NRW-Haus inzwischen zweitgrößtes Herzzentrum deutschlandweit. Bei der Organspende-Quote seien wir Deutschen „mit Abstand die schlechtesten in Europa“. Laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) spendeten im vergangenen Jahr 932 Menschen Organe – 2018 waren es noch 955 gewesen. Das bedeutet: Nur rund elf Spender kamen auf eine Million Deutsche. In Spanien etwa sind es fast 50 – in dem Land gilt jeder Bürger als potenzieller Organspender, wenn er nicht ausdrücklich widerspricht; das letzte Wort allerdings haben weiterhin dessen Angehörige. Dass Deutschland Spenderorgane aus dem Ausland bekommt, liegt an der Organisation Eurotransplant, die Transplantationen in ganz Europa grenzübergreifend organisiert. „Wir sind da Profiteur“, sagt Boeken.

Arzt Boeken: Der Rest Europas hat schon eine Widerspruchslösung

Dennoch weiß er: Nicht jeder der 60 Menschen, die derzeit in Düsseldorf auf der Warteliste für ein Spenderherz stehen, wird er retten können. Statistisch gesehen, sagt er, sterben zehn Prozent, während sie warten. Und das Warten sei „psychisch die Maximalbelastung“ für die meisten. Besonders für die als „hochdringlich“ eingestuften Fälle, die dauerhaft im Krankenhaus liegen müssen. Selbst bei ihnen dauere es, wenn sie die Blutgruppe Null haben, sechs Monate bis ein Jahr, berichtet der Mediziner.

Für Boeken ist schwer nachvollziehbar, woher die Angst vieler Menschen in Deutschland vor einer Neuregelung der Organspende kommt. Etwa die Angst, im Falle des Falles würden Ärzte schneller den Stecker ziehen, weil sie ein Spenderorgan für einen ihrer Patienten bräuchten. „Das würde uns gar nichts nutzen – aber die meisten Leute wissen das nicht“, erklärt Boeken. Es gebe eine „totale Gewaltenteilung“, er selbst habe überhaupt keinen Kontakt zu potenziellen Spendern und deren Familien. Komme ein Verstorbener in der Uni-Klinik als Spender in Betracht, so werde ein Koordinator der DSO hinzugezogen, der das Gespräch mit den Angehörigen suche. Er melde dann auch die Organe an Eurotransplant, das sie zentral verteilt. Und: „Wir würden es nie auf einen Konflikt mit den Angehörigen ankommen lassen“, bekräftigt der Arzt. Es habe Fälle gegeben, wo ein Patient zwar einen Organspendeausweis hatte, die Familie sich aber schreiend und weinend gegen eine Entnahme gewehrt habe. „Dann machen wir es auch nicht.“

 In solchen Boxen werden Organspenden für die Transplantation übergeben.

In solchen Boxen werden Organspenden für die Transplantation übergeben.

Foto: dpa/Jens Kalaene

Der traurigen Geschichte, die hinter ihrem neuen Leben steckt, ist sich Bianca stets bewusst. Genau darf und will sie sie nicht kennen. Im vergangenen Jahr sprach sie bei einer Veranstaltung der DSO, die jährlich Familien von Spendern und Empfänger von Spenden zusammenbringt. Danach kamen Eltern junger Organspender auf sie zu und bedankten sich bei ihr für ihre Geschichte, weil sie nunmehr sicher seien, das Richtige getan zu haben. Dieses Gefühl kann man nachvollziehen, wenn sich Biancas Stimme überschlägt beim Erzählen, wie sie damals nach der Transplantation zum ersten Mal mit einem Rollator durch die Klinik lief, dabei endlich Luft bekam und sich wünschte, ihr Glücksgefühl in Tüten füllen und für immer konservieren zu können.

Kämpfen musste Bianca noch reichlich. Ihr Körper stieß das neue Herz ab, erst nach Monaten ging es wirklich aufwärts. Heute fährt sie Straßenbahn noch immer mit Mundschutz, muss penibel auf ihren sozialen Umgang und ihre Ernährung achten, um jeglichen Kontakt mit Keimen zu verhindern. Aber: „Ich habe eine super Herzleistung.“

Einen echten Herzenswunsch will sich Bianca jetzt erfüllen

Wie lange, das weiß sie nicht. Eine zweite Transplantation würde sie wohl nicht mehr machen. „Dazu habe ich nicht die Kraft. Dann wäre es eben so“, sagt die 32-Jährige. „Gott hat nie gewollt, dass das Leben endlos ist.“ In einer Zeit, in der die Medizin fast keine Grenzen mehr habe, müsse der Mensch sie ziehen. Jeder für sich. Deshalb – und nicht etwa, weil sie selbst eine Organspende erhalten hat – findet sie die aktuelle Diskussion gut. Und die Idee, dass jeder Organspender ist, bis er sagt, er will es nicht sein. Weil diese Lösung Menschen zu mündigen Entscheidungen zwingt. „Es geht darum, zu sagen: Ihr müsst euch Gedanken machen, wie ihr leben wollt, und nicht einfach laufen lassen“, sagt sie. Arzt Udo Boeken sieht es genauso. Den Einwand von Gegnern der diskutierten Widerspruchslösung, der Staat müsse nur besser aufklären, lässt er nicht gelten. Seit 2012 sei da viel geschehen, würden etwa Organspendeausweise durch die Krankenkassen versandt – ohne Erfolg. „Alle in Europa haben die Widerspruchslösung, nur wir nicht“, verdeutlicht er. „Das ist immer noch eine Selbstbestimmung. Aber die Menschen müssen sich aktiv mit der Frage befassen.“

Bianca kann der Düsseldorfer Spezialist zumindest Mut machen. Im Schnitt lebten Menschen mit Spenderherz zwar nur 15 Jahre – aber die meisten, die sterben, täten das eben im ersten Jahr. Das hat die junge Frau praktisch hinter sich. „Ich habe Menschen kennen gelernt, die 25 oder auch 30 Jahre mit einem neuen Herz leben“, berichtet Boeken. Für Bianca sieht es also aus, als könnte sie sich der nächsten großen Herausforderung stellen. „Mein Wunsch war es immer, Mutter zu werden“, sagt sie. Von ganzem Herzen.

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