Geschichte in Düsseldorf Ein Blick auf die Geschichte Oberbilks

Oberbilk · Das Geschichtsbewusstsein in Oberbilk ist unterentwickelt. Einige Kenner des Stadtteils haben eine Menge vor, um das zu ändern – etwa mit Kunst- oder Zeitzeugen-Projekten.

 Dieter Sawalies, Conny Häusler und Helmut Schneider (v.l.) zählen zum Vorstand von „Aktion Oberbilker Geschichte(n)“. Sie wollen die Historie des Stadtteils für Bewohner und Auswärtige erfahrbar machen.

Dieter Sawalies, Conny Häusler und Helmut Schneider (v.l.) zählen zum Vorstand von „Aktion Oberbilker Geschichte(n)“. Sie wollen die Historie des Stadtteils für Bewohner und Auswärtige erfahrbar machen.

Foto: RP/Dominik Schneider

Viel, was auf die Geschichte des Stadtteils hindeutet, gibt es nicht in Oberbilk. Am östlichen Ausgang das Hauptbahnhofs hängen zwei große Steinreliefs, die an die industrielle Prägung des 19. Jahrhunderts erinnern. Doch diese sind zum Teil stark mit Taubenkot verdreckt, die Bronzetafeln mit erklärenden Texten verwittert, unleserlich – und teils inhaltlich falsch. „Zu lesen ist, dass die dargestellten Personen an einer Formschmiedepresse arbeiten. Es handelt sich jedoch um eine Freiformschmiede. Ein Detail, aber ärgerlich“, sagt Helmut Schneider.

Er ist Geograph an der Universität Duisburg und hat sich wissenschaftlich mit dem Stadtteil Oberbilk beschäftigt. Aus diesem Interesse heraus hat Schneider Ende des vergangenen Jahres die „Aktion Oberbilker Geschichte(n)“ ins Leben gerufen, einen Verein, der es sich zum Ziel gesetzt hat, die Historie des Stadtteils sowohl für dessen Bewohner als auch für Auswärtige erfahrbar zu machen. Dafür arbeitet Schneider seit einigen Monaten mit heimatverbundenen Oberbilkern, Wissenschaftlern sowie Mitgliedern der lokalen Politik und Vereinen zusammen. Mit von der Partie sind unter anderem die SPD-Bezirksvertreterin und Vorsitzende des örtlichen Bürgervereins, Katja Goldberg-Hammon, der ehemalige Bezirksbürgermeister und jetzige SPD-Bezirksvertreter Marko Siegesmund sowie Dieter Sawalies, der für die Linken in der Bezirksvertretung sitzt. Zum Vorstand gehört aber auch Conny Häusler, die seit langer Zeit in Oberbilk wohnt.

„Ich wohne direkt an dem Teil von Oberbilk, der unglücklich als Maghrebviertel bezeichnet wird“, so Häusler. Sie habe jedoch nie negative Erfahrungen mit den Menschen aus anderen Kulturen gemacht, im Gegenteil: „Das sind sehr freundliche Leute, und wir haben ein gutes, nachbarschaftliches
Verhältnis.“

Menschen aus über 110 Herkunftsländern leben in Oberbilk, und diese Vielfalt, die von außen oft negativ wahrgenommen wird, ist eine der großen Stärken des Stadtteils, ist sich Helmut Schneider sicher. „Bei meiner Arbeit habe ich mit Kindern gesprochen. Sie haben gesagt: Das Schöne ist, dass hier jeder anders ist, also wird jeder so akzeptiert, wie er ist.“

Von Anfang an ist die Geschichte Oberbilks durch Migration geprägt. Der Stadtteil entstand, als sich im frühen 19. Jahrhundert Schwerindustrie in der damaligen Residenzstadt ansiedelte. Entlang der regionalen Eisenbahnstrecken entstand rund um die Fabriken ein Arbeiterviertel, in das Menschen aus der Eifel, der Wallonie und Irland zogen. Dann kamen Gastarbeiter aus Süd- und Osteuropa hinzu, später auch aus Nordafrika und Vorderasien. All diese Menschen miteinander zu verbinden und anhand ihrer einzelnen Geschichten die Geschichte des Stadtteils zu erzählen, das ist eine Aufgabe, die sich der neu gegründete Verein gesetzt hat.

„Ein Mittel dazu kann die Kunst sein“, sagt Dieter Sawalies. Bei der Umgestaltung des Oberbilker Marktes hatte es zum Beispiel die Idee gegeben, ein Gleisstück der historischen Köln-Mindener Eisenbahnstrecke im öffentlichen Raum zu verlegen und das Gleisbett mit Steinen aus allen Nationen zu füllen, die in Oberbilk vertreten sind. Der Vorschlag konnte sich ursprünglich nicht durchsetzen, wurde vom Verein jedoch als Idee aufgenommen. Auch ein QR-Code, der auf eine Website mit weiteren Informationen verweist, ist denkbar. Angedacht ist zudem ein Pfad, der zu Stationen an historisch bedeutsamen Orten führt.

„Geschichte ist ja nichts abgeschlossenes, sondern sie passiert jeden Tag“, sagt Schneider. Nach dem Abzug der Industrie aus Oberbilk blieben neben der Wohnbebauung große Brachflächen zurück, die inzwischen in die Stadtplanung eingebaut sind. Auch Investoren werfen ihre Augen darauf, Neubauten könnten die Preise erhöhen und das Viertel nachhaltig verändern. Und gerade in diesem Prozess, da sind sich die Mitglieder der „Aktion Oberbilker Geschichte(n)“ einig, ist es wichtig, den Blick auf die Vergangenheit nicht zu verlieren.

Dazu gehört auch ein Projekt, dass der Verein aktuell plant: Zeitzeugengespräche. „Egal, ob es Arbeiter aus dem alten Stahlwerk sind, alteingesessene Oberbilker, Migranten oder Jugendliche, die hier aufwachsen: Wir sammeln Geschichten aus dem Stadtteil“, sagt Conny Häusler. Wie ein großer Teil der Vereinsarbeit wird auch das durch Corona erschwert. „Aber im Sommer wird es bestimmt möglich sein, solche Interviews im Freien durchzuführen“, sagt die Oberbilkerin. Auch hier sei wichtig: Geschichte ist nicht nur die Vergangenheit; auch Menschen, die Oberbilk aktuell als ihre Heimat erleben, sind Teil der Geschichte des Stadtteils.

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