Stadt-Teilchen Mir fehlt mein Kaffee, mir fehlt der Lärm der Espresso-Maschine!

Düsseldorf · Achtung vor alten, weißen Männern, die hilflos vor geschlossenen Cafés herumlungern

 Ein Herz im Milchschaum eines Caffe Latte. Da geht unserem Autoren auch das Herz auf.

Ein Herz im Milchschaum eines Caffe Latte. Da geht unserem Autoren auch das Herz auf.

Foto: Martin Gerten

Wenn Sie in diesen Tagen einen älteren Herren vor einem geschlossenen Café herumlungern sehen, dann gehen Sie einfach weiter. Lassen Sie ihn die Nase an die Scheibe pressen und sehnsuchtsvoll ins Innere schauen. Ignorieren Sie sein eingefallenes Gesicht. Machen Sie keine aufmunternden Unterstützungsangebote. Sie können dem Mann eh nicht helfen in seiner Trostlosigkeit. Ich weiß das, denn der traurige Mann, das bin ich.

Mir fehlt mein Kaffee. Mir fehlt die Kunst der Baristi, die mit mehr oder weniger großer Show aus gemahlenen Bohnen, gepresstem Wasser und geschäumter Milch heißflüssige Wunderwerke kreieren und dafür Preise nehmen, die anderen als Eigenbeteiligung beim Hauskredit anerkannt würden. Mir fehlt einfach der Krach, den ein anständiges Mahlwerk an die im Café hockenden Kunden aussendet. Es knirscht und es knarzt in Düsenjägerstärke höllenlaut, und es sagt: Hört her, hier kommt die Frische. Es zischt die heiße Luft aus dem Milchaufschäumer, als wohne in einer dieser kleinwagengroßen Kaffeemaschinen ein wütender Drache, der all seine wütende Energie in die Erhitzung und Verwirbelung des Kuh-Produkts schießt.

 WZ-Kolumnist

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Foto: NN

Ja, ich weiß, ich kann mir auch Zuhause einen Kaffee machen. Aber ich will das nicht. Nicht wenn ich nicht muss. Ich habe gar nicht den Raum, eine Kaffeemaschine aufzustellen, die meinen Ansprüchen gerecht würde. Niemals bekäme ich etwas hin, das auch nur annähernd meinen Gaumen betören könnte.

Ich kann natürlich, was ja gerade wieder Trend zu werden scheint, einen passablen Filter-Kaffee zubereiten, weil ich damit halt aufgewachsen bin. Ich bin Kaffee-technisch groß geworden mit der Fernsehwerbung, in der es eine Frau wagte, einen anderen als den gewohnten Kaffee aufzutischen und dafür schwer gescholten, ja nahezu sozial ausgegrenzt wurde. „Kein Aroma“ hieß es missbilligend, was für eine Hausfrau damals ähnlich vernichtend klang wie ergraute Gardinen ohne Goldkante aussahen. Aber dann kam die Lösung in Form von Jacobs Kaffee, also dem mit dem Verwöhnaroma. Mein Respekt geht raus an all jene, die sich so eine tolle Wortkreation haben einfallen lassen. Verwöhnaroma! Darauf muss man erst einmal kommen.

Meine Generation hat sich auch vom Melitta-Mann einreden lassen, dass Papierfilter Aroma-Poren haben. Wie die Haut. Und dass genau durch diese Aroma-Poren der Kaffeegeschmack durchgeht. Für eine kurze Zeit wurde der Melitta-Mann zu einer Art Popstar, ebenso wie der Jahre später auftretende Klischee-Italiener, der empörte Frauen, deren Parkplatz blockiert war, beruhigte mit einer Tasse Aufgussplörre und der leicht schmierig präsentierten Ausrede „Isch abbe gar keine Auto, Signorina.“

Dann kam, irgendwann um die Jahrtausendwende die öffentliche Kaffeerevolution auch bei mir an. Überall gab es neue Läden, und wer dort mit dem profanen Wunsch „eine Tasse Kaffee bitte“ vorstellig wurde,, erntete hochgezogene Augenbrauen und einen irgendwie von Mitleid begleiteten Verweis auf die Heißgetränkekarte, wo sich Wortungetüme tummelten, die es zu enträtseln galt. Ob man nun lieber einen Irgendwas Macchiato, eine ganze Latte von dem Macchiato oder doch lieber Cortado oder einen Flat White, also einen flachen Weißen, wollte, galt es zu klären. Ebenso wie die Frage, ob man nun besser japanisch klingend Makiato intonierte oder eher Matschiato sagte, was schwer nach übertriebener Männlichkeit klang.

Wie auch immer, ich habe mein Kaffee-Abitur auf der Espresso-Akademie nachgeholt. Ich lernte, dass es nicht Katschupino sondern Cappuccino heißt, und dass eben dieser aus einem einfachen Espresso und zwei Teilen Milchschaum besteht, wobei zu unterscheiden ist zwischen dem flüssigen Teil und der eher festen Milchschaumhaube, die auch mal über den Tassenrand blinzeln darf. Keinesfalls blinzeln darf dagegen der Schaum eines ordentlichen Flat White, der oft aus einem doppelten Espresso besteht und mit dem Tassenrand abschließt, wobei darauf zu achten, dass beim Flat White der Milchschaum feinporiger als beim Cappuccino sein sollte.

Ich lernte alles in Sachen moderner Kaffee-Kreation, ich lernte auch das ungeschriebene, offenbar aus Italien importierte Gesetz, dass der Kaffee umso besser schmeckt, je arroganter der Barista, also der wahre Kaffee-Kreateur, ihn rüber reicht. Merke: Ein freundlicher Barista ist ein Widerspruch in sich. Erst wenn er dir als Kunde klarmacht, dass du ein Nichts bist und er dir trotzdem die Ehre erweist, dich ausnahmsweise mal zu bedienen, schmeckt der Kaffee.

Ich habe mich also jahrelang richtig reingefuchst in die neue Kaffee-Kultur, ich habe alles beobachtet, registriert und gelernt, zu genießen. Einfach nur dasitzen, die in guten Läden vorrätigen Tageszeitungen inspizieren, ein bisschen schauen und auf den richtigen Moment warten, da der Kaffee getrunken werden will. Und dann genussvoll schlürfen zum Soundtrack des knarzenden Mahlwerks, des zischenden Drachen, der tuschelnden Kunden. Das ist für mich der Inbegriff einer Großstadtsinfonie. Kaffee und Krach und ich.

All das geht zurzeit nicht. Auf all das muss ich gerade verzichten, und das macht mich sehr traurig. Neulich hat mich ein Kumpel angerufen und scheinheilig gefragt, ob ich mit ihm einen Kaffee trinken gehe. Ich wollte schon begeistert aufspringen und „Yeah“ rufen, als ich im letzten Moment merkte, dass mich da jemand gehörig auf den Arm nehmen will.

Also wandele ich nun durch die Straßen und schaue sehnsuchtsvoll nach meinen Genuss-Orten, die mir alle versperrt sind. Ich habe Zeit, zu sinnieren, ob ich möglicherweise selbst ein „Flacher Weißer“ bin, wenn ich in Telefonaten anmerke, dass es nun aufgrund der ausschließlichen Mitnahmekultur nicht mehr Koffe-in heißen dürfe, sondern Koffe-out. Ich kann mit schlechten Wortwitzen halt mehr anfangen als mit schnödem Mitnehmkaffee. Den sollen sie, wie auf vielen Schilder ausgewiesen, doch bitte schön in Togo anbieten. Vielleicht wissen die Afrikaner das zu schätzen.

Wie gerne säße ich wieder im Café. In Unterbilk, in Derendorf, in Flingern oder sonst wo. Ich würde auch protestlos für einen Drittelliter heiße Milch mit einem kleinen Schuss Espresso und etwas Süßkram obendrauf 4,80 Euro zahlen. Ohne zu maulen. Ich will mich auch wieder freuen über die hübschen Herzchen und Bäumchen, die mir mein Barista manchmal oben auf den Schaum malt. Die haben so etwas Fürsorgliches, was eigentlich überhaupt nicht zu meiner Arroganz-Qualitäts-Theorie passt. Aber egal.

Ich verspreche, dass ich der erste Kunde bin, wenn die Cafés wieder aufmachen. Das wird ein wunderbarer Tag.
Haltet also durch. ihr Hüter der Kaffeeparadiese. Ich werde ganz früh anfangen, wenn der erste Laden öffnet. Ich will in meinem Stammcafé am Erftplätzchen der allererste Kunde sein. Ich werde danach einen ganzen Vormittag lang durchs Viertel laufen, alle wiedereröffneten Lokalitäten aufsuchen und einen Kaffee nach dem anderen in meine Herzkammern applizieren, bis ich mir einen regelrechten Koffein-Schwipps angetrunken habe.
Und dann werde ich torkelnd aber glücklich irgendjemanden umarmen. Vorsicht also, wenn es wieder losgeht. Vor flachen weißen Männer im Kaffeerausch wird ausdrücklich gewarnt.

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