Max Richter fehlt live die leise Poetik

Ambivalenter Auftritt des deutsch-englischen Komponisten in der Tonhalle.

Max Richter fehlt live die leise Poetik
Foto: Susanne Diesner

Düsseldorf. Max Richter, Komponist, Pianist, elektronischer Klangmagier verbindet in sich mehrere musikalische Welten, schöpft aus einem großen Fundus an Inspirationsquellen. In der Tonhalle spielte er nun mit einem Streichquintett bestehend aus Musikern des Londoner „The 12 Ensemble“ zwei schon legendär gewordene Werke bzw. Alben aus seinem Repertoire. „Infra“ aus 2010 und „The Blue Notebooks“ aus 2004. Von Letzterem wurde übrigens in diesem Jahr eine Neuproduktion veröffentlicht.

Das Phänomen, dass im Studio produzierte Alben live gespielt doch etwas anders Wirken als das für die Ewigkeit auf Tonträger gebannte „Original“, verbindet man gemeinhin weniger mit Kompositionen der Kunstmusik. Jene sind zumeist minutiös in Partituren aufgeschrieben - dort gilt der in Notenschrift festgehaltene musikalische Bauplan als das Original - und sie müssen durch Interpretation, also das Verklanglichen der Noten, jeweils neu zum Leben erweckt werden. Bei produzierter Musik, Musik also, die ihre Substanz über das Notenmaterial hinausgehend, oft aus klanglichen Effekten, ihrer Mischung und Verfremdung, ihrer Sequenzierung, also repetitiver Wiederholung, gewinnt, gelingt das Reproduzieren auf der Bühne nur mit ausgeklügelten Hilfsmitteln. Hierzu zählen vorproduzierte Playbacks, also vorher aufgenommene Passagen, die zu der auf der Bühne live auf Instrumenten gespielten Musik beigemischt werden. Nur selten gelingt es mit dem Originalklang auf der Aufnahme hundertprozentig deckungsgleiche Klangerlebnisse zu erzeugen. Dieses Schicksal ereilt auch Max Richter.

Überbordend dicht wirken die Klänge, lassen die Tonhalle bisweilen vibrieren. Dies wirkt zwar nicht wirklich störend, ergibt in sich ein schlüssiges Bild, doch fehlt hier im Gegensatz zu den Alben, die leise feinklangliche Poetik ein wenig. Durch die Verstärkung gewinnen die sanften sich immer wiederholenden Streicherkantilenen nahezu bedrohlich obsessiven Charakter. Die Soundeffekte, die auch hier vorproduziert auf „Knopfdruck“ vom Laptop aus eingespielt werden, klingen und wirken nicht so unumstößlich schlüssig wie auf den Tonträgern. Manche besonders packende Klangbeimischungen fehlen gänzlich. Wie das „Tippen auf einer Schreibmaschine“ hinter den indes live von Sarah Sutcliffe rezitierten Passagen aus Texten von Kafka und Czeslaw Milosz.

Doch sorgt Richter bei dem Publikum der bestens gefüllten Tonhalle auch so für Begeisterungsstürme. Seine Musik hat nun mal in jeder Präsentation eine magische Sogkraft. Die „Notebooks“ waren eigentlich ein Proteststück gegen den Irakkrieg. Richters Musik ist in vielerlei Hinsicht ein Spiegel heutiger Ästhetik. Doch ist sie zeitgleich mit ihrer kontemplativen Ruhe, den altbekannt wirkenden Melodien und ihrer Verschmelzung mit treffsicher gewählten Klangeffekten auch der wechselnden Mode enthoben. Alle Epochen scheinen sich auf einem Nullpunkt parallel zu manifestieren. Wahrhaft zeitlos, wie unsere eklektizistische Welt nun mal selbst ist.

Dazu passt: Richter zitiert in seinen Kompositionen gerne auch mal ganze Passagen aus Werken „alter Meister“, wie etwa in „Old Song“ aus „The blue Notebooks“. Das, was er da so vertieft am Klavier spielt, ist nämlich eins zu eins die Klavierbegleitung von „Hör´ ich das Liedchen klingen“ aus Schumanns Dichterliebe. Der hatte übrigens just an dem Konzerttag Geburtstag. Was Richter allerdings in seinen Moderationen nicht erwähnungswürdig fand.

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