Maos Frontarzt kam aus Düsseldorf

Hans Müller wurde sogar in den Volkskongress Chinas gewählt. In seiner Heimat ist er jedoch vergessen.

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Düsseldorf. Vor 99 Jahren kam Hans Müller in Düsseldorf zur Welt. Doch in seiner Heimatstadt ist er längst vergessen. Als der Mediziner allerdings vor 20 Jahren in China starb, war er im Reich der Mitte längst zu einer Berühmtheit geworden. Auch heute noch ist sein Name dort vor allem in gebildeten Kreisen geläufig. Sein Grab befindet sich bezeichnenderweise auf dem Heldenfriedhof in Peking — zwischen Staatslenkern wie Deng Xiaoping und dem Bruder des letzten Kaisers von China.

Maos Frontarzt kam aus Düsseldorf
Foto: Judith Michaelis

Auch Michael Ruhland ist die Lebensgeschichte Müllers bis vor Kurzem nicht bekannt gewesen. Dabei hat Ruhland selbst einige Jahre in China gelebt, ist zudem zweiter Vorsitzender der Gesellschaft für Deutsch-Chinesische Freundschaft in Düsseldorf und hat sogar ein Buch über Verbindungen zwischen dem Reich der Mitte und der Landeshauptstadt veröffentlicht. Doch kein Wort über Hans Müller. Deswegen erhielt Ruhland schließlich vom Ostasienwissenschaftler Thomas Heberer einen Hinweis auf einen der ungewöhnlichsten Lebenswege, den je ein Düsseldorfer gegangen ist.

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Ruhland wollte mehr wissen. Nicht zuletzt deswegen, weil er sich erinnerte, dass er als Student in China in den 80er Jahren Müller begegnet war. Diesen Namen hatte er sich gemerkt. Ein Hans Müller in China? Doch Ruhland und Müller wechselten nur ein paar Sätze, ohne das Ruhland ahnte, wen er da vor sich hatte.

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Aber nach dem Anruf von Heberer begab sich Ruhland vor zwei Jahren auf Spurensuche. Und die endete schließlich in Freundschaften — mit Müllers Tochter Mimi und Müllers Frau Kyoko Nakamura, die immer noch in dem Haus in Peking wohnt, in dem sie einen Großteil ihres Lebens mit Hans Müller verbrachte. Zuvor hatte dort übrigens der Englischlehrer und enge Vertraute des letzten Kaisers von China gelebt.

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Ruhland erfährt mehr und mehr und fasst schließlich den Entschluss, ein Buch über Hans Müller zu schreiben. Im Herbst soll es erscheinen. Wie dessen Leben verlief, erzählte Ruhland jetzt der WZ bei einem Besuch in der Redaktion:

Müller kam aus einem wohlhabenden Elternhaus, wuchs in Golzheim auf, wohnte auf der Zietenstraße und besuchte das heutige Humboldt-Gymnasium. Bemerkenswert: Seine Mutter war eng verwandt mit dem Reeder Albert Ballin, einem engen Freund und Berater des letzten deutschen Kaisers.

Die entscheidende Wende nahm Müllers Leben, als er sich entschloss, in Basel Medizin zu studieren. Denn als er im Jahr 1939 seinen Abschluss machte, war für ihn als Sohn eines Juden klar: Es gibt keinen Weg mehr zurück nach Deutschland.

Ein chinesischer Kommilitone brachte ihn schließlich auf die Idee, nach China zu gehen. Ärzte wurden dort dringend gebraucht. So packte Müller sein Chirurgenbesteck zusammen und bestieg ein Schiff von Frankreich nach Hongkong.

Der chinesische Kommilitone vermittelte Müller an Madame Song Qingling, die Witwe des ehemaligen Staatsoberhaupts Chinas Sun Yatsen. Sie schickte Müller mit einem Hilfskonvoi auf den Weg nach Yan’an, der politischen und militärischen Basis der Kommunistischen Partei. Es war der letzte Konvoi, der die Höhlen der Revolutionäre erreichte.

Zwei Jahre lang arbeitete der Chirurg dort im Hospital. Als das erste Röntgengerät geliefert wurde, ließ sich selbst Mao von Müller durchleuchten. In dieser Zeit reifte in ihm die Überzeugung, gegen die Faschisten — also die Japaner — kämpfen zu wollen. Zudem war er überzeugt, dass er an der Front dringender gebraucht wurde. Ein deutschsprachiger Feldmarschall erhörte letztlich Müllers Gequengel.

Hunderte Verwundete flickte der junge Arzt jahrelang hinter den Kampfeslinien zusammen, etliche sah er sterben — bis Müller an Typhus erkrankte und selbst ins Hospital musste.

Nach Kriegsende versuchte sich Müller 1945 über den Landweg nach Deutschland durchzuschlagen, schaffte es allerdings nicht durch die Reihen von Chiang Kai-sheks Truppen, erbitterten Gegnern der Kommunisten. So erfuhr Müller erst später, dass sein Vater die Deportation überlebt hatte und ihm seine Mutter 1942 bis nach Shanghai nachgereist war, aber dort bis 1946 eingekesselt blieb und schließlich wieder abfuhr.

Ihr Sohn entschied sich, in China zu bleiben. Bis zum Sieg über die Nationalisten 1949 blieb er als Arzt bei den kommunistischen Truppen und lernte in dieser Zeit auch seine spätere Frau kennen, die übergelaufene Japanerin Kyoko Nakamura. 1951 wurde der gebürtige Düsseldorfer schließlich chinesischer Staatsbürger. „Das war dennoch ein bisschen spät“, sagt Ruhland. Müller war wohl ein echter Sturkopf. Während er sich politisch zurückhielt, kritisierte er sehr offen die traditionelle chinesische Medizin.

Doch seiner Karriere stand das nicht im Weg. Er verantwortete den Ausbau der medizinischen Versorgung im Norden des Landes und bekleidete später leitende Positionen in Krankenhäusern wie dem Jishuitan Hospital in Peking. Besonders verdient machte er sich um die Hepatitisforschung. So entwickelte er einen Impfstoff weiter, der heute noch in China verwendet wird. Ausgezeichnet wurde er dafür mit der höchsten Staatsauszeichnung für Medizin.

Der erstaunlichste Karriereschritt sollte jedoch noch folgen. Im Jahr 1983 wird Müller für die Volksvertretung vorgeschlagen und gewählt. „Das haben nur etwa zehn Ausländer je geschafft“, sagt Ruhland. Bis zu seinem Tod 1994 — nach jahrzehntelangem Herzleiden — saß Müller in Ausschüssen für Medizin.

Doch auch Düsseldorf ließ Müller nie ganz los. Drei Tage lang verweilte er 1974 in der Stadt. Einmal wollte er wohl noch sehen, wo alles begann.

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