Mädchen werden brutaler

Jugendgewalt ist in erster Linie Jungengewalt. Doch mittlerweile scheuen auch Mädchen nicht mehr vor Prügeleien zurück. Seit 1998 ist die Zahl der gewalttätigen Mädchen (unter 21 Jahren) um 50,2 Prozent gestiegen.

Düsseldorf. Sabrina K. (Name geändert) war erst 15 Jahre, als sie eine Mitschülerin so sehr verprügelte, dass diese mit einer schweren Schädelprellung und einer Platzwunde am rechten Ohr ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Nur Wochen später attackierte Sabrina K. ein anderes Mädchen mit Fäusten und Tritten, schlug dem Opfer sogar mit einem Handy auf den Kopf. "Die haben Scheiße über mich geredet", rechtfertigte sich die heute 16-jährige Schülerin jetzt in ihrem Prozess vor dem Düsseldorfer Amtsgericht.

Der Fall von Sabrina ist kein Einzelfall. Das zeigt die Kriminalstatistik des Landes Nordrhein-Westfalen (Düsseldorfer Zahlen liegen nicht vor). Seit 1998 ist die Zahl der gewalttätigen Mädchen (unter 21 Jahren) um 50,2 Prozent gestiegen. Besonders Mädchen zwischen 14 und 18 Jahren werden auffällig. Bei schweren Körperverletzungsdelikten in dieser Altersgruppe liegt ihr Anteil bei 19,2 Prozent.

Allerdings liegt das auch an der Etikettierung: Körperverletzung ist nämlich immer "schwer", wenn sie in einer Gruppe begangen wird. Und Mädchen prügeln selten allein. "Mädchen neigen dazu, sich als Gruppe zusammenzuschließen und sich ein Opfer auszugucken", sagt Birgit Polz von der Beratungsstelle Pro Mädchen in Düsseldorf. Die Sozial- und Theaterpädagogin leitet gewaltpräventive Projekte an Düsseldorfer Schulen.

"In den letzten Jahren hat die Gewaltbereitschaft unter jungen Frauen stark zugenommen. Auch sehr junge Mädchen scheuen keine Prügeleien", sagt Polz. So gäbe es besonders in Hauptschulen bereits in den fünften Klassen Probleme mit Prügeleien.

Aber auch in anderen Schulformen sei Gewalt unter weiblichen Jugendlichen ein Thema, betont Polz. Allerdings spiele sich diese eher auf der psychologischen Ebene ab. "Verleumdungen im Internet und verbale Gewalt sind besonders verbreitet."

Dass die Gewaltbereitschaft zugenommen hat, bestätigt auch Edwin Pütz, Jugendrichter und Leiter der Jugendarrestanstalt in Gerresheim: "Im Vergleich zu den Jungen stehen zwar eher weniger Mädchen vor Gericht. Allerdings schlagen die mittlerweile genauso heftig zu."

Und auch die Motive, welche die Mädchen gewalttätig werden lassen, unterscheiden sich kaum von denen der Jungen: Gewalt soll Konflikte lösen, in denen es um Respekt, Ehre und Ansehen geht. "Die hat meine Mutter beleidigt" oder "Die hat mich blöd angemacht" sind Sätze, die auch Birgit Polz immer wieder hört.

Die wahren Gründe für die Gewaltbereitschaft sieht sie allerdings woanders. "Gewaltbereite Mädchen werden zu Hause oft vernachlässigt, sind häufig selber Opfer von Gewalt und haben ein geringes Selbstwertgefühl." Es fehlen positive erwachsene Vorbilder. Auf kreativer Ebene versucht Birgit Polz daher, mit den Mädchen die Wirklichkeit darzustellen und zu bearbeiten. Ziel ist es, das Selbstwertgefühl zu stärken und Empathie mit Opfern zu erreichen.

Die Soziologin Kirsten Bruns vom deutschen Institut für Jugend in München untersuchte das Verhalten von Mädchen in gewaltauffälligen Gruppen und stellte fest, dass die Mädchen sich im Gegensatz zu den männlichen Gruppenmitgliedern sogar mit ihren Taten brüsten.

"Ein Erklärungsansatz könnte sein, dass die jungen Frauen sich gegen das gesellschaftliche Rollenverständnis der schwachen Mädchen auflehnen. Weiblichkeit bedeutet für sie, stark und wehrhaft zu sein." Dafür spreche auch, dass die Mädchen während der Untersuchung ausdrücklich angaben, nicht die Jungen nachzuahmen.

Allerdings handele es sich oft nur um eine aggressive Phase; mit dem Ende der Pubertät kehrten die meisten Mädchen von ihren Handlungsmustern ab.

Auch Sabrina K. habe eine solche Phase durchlaufen, urteilte das Gericht. In dem Jahr vor Prozessbeginn hatte sie sich nichts mehr zuschulden kommen lassen, nahm an einem Anti-Aggressions-Training teil und besuchte wieder den Unterricht.

Aufgrund der günstigen Sozialprognose erhielt sie eine Bewährungsstrafe von zehn Monaten. Eine Verurteilung, die helfen soll, den gewalttätigen Teil ihres Lebens abzuschließen.

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