Luzia Kleene von der Frauenberatungsstelle sieht Erfolge

Interview: Die Fälle häuslicher Gewalt nahmen 2008 um neun Prozent zu. Für Luzia Kleene von der Frauenberatungsstelle sogar ein Erfolg.

Frau Kleene, laut Polizei gab es im vergangenen Jahr 951 Fälle von häuslicher Gewalt in Düsseldorf. Ist das die Spitze des Eisbergs?

LuziaKleene: Man geht davon aus, dass 20 Prozent aller Gewalttaten bekannt sind. Von den meisten Fällen wird die Polizei nie erfahren. Das Thema ist für die Frauen mit zu großer Scham besetzt.

Warum schämen sich die Frauen?

Kleene: Weil sie es nicht geschafft haben, dass die Ehe funktioniert. Oder gerade bei selbstständigen, gebildeten Frauen weil sie sich so erniedrigen ließen. Zusätzlich haben sie Angst, dass ihr Umfeld ihnen nicht glaubt.

Wann wenden sich betroffene Frauen an die Beratungsstelle?

Kleene: In der Telefonberatung haben wir oft Frauen, die sagen, sie seien nicht sicher, ob sie Opfer häuslicher Gewalt sind. Er hat sie drei Mal geschubst - ist das schon Gewalt? Aber in dem Moment, wo die Frau uns anruft, zeigt das ja: Für sie ist das Erlebte offenbar nicht mehr normal. Zur persönlichen Beratung kommen die meisten Frauen erst, wenn schon massiv etwas passiert ist.

Warum ist es für die Frauen so schwierig, sich aus der Gewaltbeziehung zu lösen?

Kleene: Eine Beziehung beginnt ja nie als Gewaltbeziehung. Der Täter ist nicht nur der Gewalttäter und nicht die ganze Zeit über gewalttätig. Er ist auch noch der Partner, vielleicht Vater ihrer Kinder.

Wie kann es in einer vermeintlich glücklichen Beziehung zu Gewalt kommen?

Kleene: Auslöser sind oft Lebensumbrüche. Das kann Arbeitslosigkeit sein - aber auch Renteneintritt, Heirat, Schwangerschaft. An diesen Punkten kippen Beziehungen am häufigsten.

Ist jeder Mann in einer Beziehung also potenzieller Schläger?

Kleene: Es gibt die These, dass die Männer, die ihre Frauen schlagen, selbst Gewalterfahrung gemacht haben. Das gilt übrigens auch für die Opfer - viele von ihnen haben die Opferrolle regelrecht gelernt. Für die Männer gilt zudem oft, dass sie sehr feste Rollenvorstellungen im Kopf haben: So muss ein Mann sein, so muss eine Frau sein.

Wie entsteht daraus Gewalt?

Kleene: Körperliche Gewalt ist meist nicht der Anfang. Davor stehen Beleidigungen, Psychoterror. Da halten die Frauen oft noch mit, sie können auch austeilen. Was beim Mann dann allerdings hinzukommt, ist die Fähigkeit und Bereitschaft, zu schlagen.

Kann es sein, dass die Gewalt auch wieder abebbt, die Beziehung wieder friedlich wird?

Kleene: Nach meiner Erfahrung: nein. Die Gewalt entwickelt sich vielmehr in einer Spirale. Trotzdem glauben viele Frauen, sie müssten sich nur mehr anstrengen, damit es wieder funktioniert. Ich glaube, das geht nicht.

Eine Spirale - die Gewalt schraubt sich also immer höher?

Kleene: Ich habe in meinen 20 Jahren bei der Frauenberatungsstelle mehrere Frauen verloren. Im ersten Fall - als ich gerade drei Jahre dabei war - hat ein Mann seine Frau vor den Augen der Kinder erschossen. Sie hatte versucht, gegen ihn Anzeige zu erstatten, war aber bei der Polizei nur ausgelacht worden.

Ist das noch immer ein Problem?

Kleene: Da hat sich unglaublich viel getan. Seit 2002 darf die Polizei gewalttätige Männer für zehn Tage der Wohnung verweisen - auch wenn die Frau das nicht will. Wenn das Opfer es zulässt, bekommen wir ein Fax mit allen Daten und können helfen. Zudem wird automatisch Anzeige gegen ihn erstattet. Das musste vorher die Frau noch selbst tun. Jetzt nimmt die Gesellschaft diese Kontrollfunktion ein und geht gegen Schläger vor. Wir haben auch eine Fachgruppe mit Justiz, Frauenhäusern und Polizei beim Kriminalpräventiven Rat - die Absprachen im Hilfenetz sind sehr viel enger geworden.

Trotzdem sind die Fallzahlen der häuslichen Gewalt 2008 um neun Prozent gestiegen.

Kleene: Es haben sicher nicht die Fälle zugenommen, es werden einfach nur mehr von ihnen bekannt. Der Anstieg ist also ein Erfolg, weil nur die Taten erfasst werden, bei denen auch eingeschritten wird. Ärzte zum Beispiel sind heute für das Thema sensibilisiert und erkennen die Fälle eher. Wir schulen Medizinstudenten etwa von der Beratungsstelle aus, damit sie Anzeichen häuslicher Gewalt erkennen.

Es werden also mehr Fälle bekannt - aber werden die Täter auch bestraft?

Kleene: Vor Gericht ist leider immer noch die Aussage der Frau sehr wichtig. Und die Opfer wollen eben oft nicht aussagen. Aber die Polizei reagiert: Die Beweissicherung - Fotos von der verwüsteten Wohnung, eine Untersuchung des Opfers, Gutachten - wird wichtiger. Das Thema ist raus aus dieser Schmuddelecke: "Sollen sich doch die Frauenhäuser drum kümmern". Das ist der richtige Weg, da muss es hingehen.

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