Düsseldorf-Gerresheim Leben in Gerresheim - Ein Arbeiterkind schreibt Geschichte

Herbert Leisten hat sein gesamtes Leben in Gerresheim verbracht und erzählt die Historie des Stadtteils „von ganz unten“.

Düsseldorf-Gerresheim: Leben in Gerresheim - Ein Arbeiterkind schreibt Geschichte
Foto: Judith Michaelis

Düsseldorf. Viele gute Geschichten beginnen in einer Gerresheimer Kneipe. Die Liebesgeschichte von Herbert Leisten und seiner Adele zum Beispiel. Oder die Geschichte, wie es kam, dass Buchautor Hanno Parmentier das Leben von Herbert Leisten aufgeschrieben hat. Ein Leben, das fast komplett in Gerresheim stattfand.

Denn in einer Kneipe lernte Parmentier Herbert Leistens Tochter kennen — mehr als 20 Jahre nach dessen Tod. Sie erzählte dem Wahl-Gerresheimer, wie ihr Vater im Rentenalter seine Biografie minutiös aufgeschrieben hatte. „Irgendwann sagte er wohl zu ihr: ,Mach was draus!’“, erklärt Parmentier. Das habe die Frau über all die Jahre nicht losgelassen. Er wollte helfen. „Und dann hatte ich den Salat, saß vor drei Kladden — eng beschrieben, ohne Punkt und Komma.“ Die Sprache eines Arbeiterkindes. Doch dann packte es Hanno Parmentier. In die Lebenswelt von Herbert Leisten einzutauchen und über die Gerresheimer Historie zu lesen. „Aber nicht von einem Geschichtsschreiber, sondern von ganz unten.“ Daraus ist eine Broschüre entstanden, die jetzt für fünf Euro in der Bücherstube an der Benderstraße erhältlich ist.

Und es ist vielleicht keine wissenschaftliche, aber doch eine lückenlose Familienchronik. „Es ist irre, wie viel Herbert über seine Familie abgespeichert hat“, berichtet Parmentier. „Er muss sehr wissbegierig gewesen sein.“ So schreibt er, wie sein Großvater Julius Ende des 19. Jahrhunderts aus der Provinz Posen nach Gerresheim kommt, als dort händeringend Glasbläser gesucht werden. „Die Glashütte war damals schon die größte Flaschenfabrik der Welt“, erklärt der Herausgeber. Auch Herberts Vater Emil arbeitet später dort.

Vor allem zeichnet Herbert Leisten in seinen Tagebüchern ein reiches Bild von der Sozialstruktur des Stadtteils und der ganzen Stadt damals. „Er erinnert sich, wie der Mann hieß, der ihm die Zähne zog, und dass er das nur im Nebenberuf machte, eigentlich einen Tabakladen hatte.“ Und er erinnert sich an die Tage auf Schloss Elbroich in Holthausen, wo sein Onkel beim Glashüttenchef Hermann Heye als Hausmeister arbeitete. Von der Mauer und den zwei Toren an Itter- und Ickerswarder Straße schreibt er, von den drei Pferden, dem Esel Peter und den Goldfasanen. Parmentier: „Das alles hatte ich so noch nie irgendwo gelesen.“

Der Herausgeber hat Herbert Leisten dessen authentisches Deutsch gelassen, dessen Genitiv — „Oma Linda ihr Hobby war der Gesang“ —, die Neigung, immer dazuzuschreiben, was Reisen kosteten, wer wie viel verdiente. Und auch die unbefangene, manchmal naive Weltsicht. Aus der Kriegszeit in Griechenland berichtet Leisten vom Tausch mit den Bauern, Sehenswürdigkeiten Athens und dem Schnaps, den er für die Eltern kaufte. Leistens Schilderung, die spätere Wiederbewaffnung Deutschlands habe dazu gedient, den alten Offizieren wieder Jobs zu verschaffen, fügt Parmentier dann aber doch eine Fußnote hinzu.

Herbert Leisten arbeitet nach dem Krieg wieder als Installateur — ein Beruf, den er gelernt hatte, um nicht ins Landjahr und weg von der Familie zu müssen. Er heiratet seine Adele, die schon Kinder hat, bekommt seine Tochter. Und er bleibt in Gerresheim. Natürlich. „Bis zu seinem Tode“, sagt Hanno Parmentier.

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