Werbung in Düsseldorf Das Schaukelpferd weicht der Werbung

Oberbilk · Viele Jahre war an der Fassade an der Ellerstraße Nils Beckers Schaukelpferd zu sehen. Dann wurde die Fläche für Werbung übermalt.

 Die Werbung eines Düsseldorfer Streetwear-Labels schmückte eine Hauswand in Oberbilk.

Die Werbung eines Düsseldorfer Streetwear-Labels schmückte eine Hauswand in Oberbilk.

Foto: Alexandra Wehrmann

Als der Street-Art-Künstler Nils Becker Anfang März an dem Haus an der Ellerstraße 110 vorbeikam, versuchte er zunächst mal, sich selbst zu beruhigen. Die Wand, auf der sein „Schaukelpferd“ prangte, wurde eingerüstet. Das könnte alles mögliche bedeuten, Dacharbeiten zum Beispiel. Kurz darauf war der 44-Jährige wieder vor Ort und sah seine Hoffnung nicht bestätigt. Sein Werk war verschwunden. An seiner Stelle warb an der Fassade nun ein üppig tätowierter Mützenträger für ein Düsseldorfer Streetwear-Label.

Auch einige Wochen, nachdem seine Arbeit, die 2013 im Rahmen des „40 Grad Urban Art Festivals“ entstand, übermalt wurde, verspürt Becker immer noch eine Mischung aus Enttäuschung und Ärger. „Egal ist mir das absolut nicht.“ An den vielbeschworenen Ehrenkodex der Graffiti-Szene, der besagt, dass man die Arbeit eines anderen nicht übermalt, halte sich nach seiner Wahrnehmung kaum noch jemand, so der Künstler: „Im Zuge von Graffiti über Moral zu sprechen, erscheint mir insgesamt seltsam.“ Dennoch mache es für ihn durchaus einen Unterschied, ob ein Bild, das man illegal auf einer x-beliebigen Wand hinterlassen hat, übermalt werde, oder eine Arbeit, die offiziell im Rahmen eines Festivals entstanden ist, durch eine Werbung ersetzt werde – und das auch noch ohne den Künstler vorab darüber zu informieren.

„Im Fall der Ellerstraße siegt Kommerz über Kunst – darüber muss man gar nicht diskutieren. Das ist einfach nur schlimm“, findet Becker. Klaus Klinger, Urgestein der landeshauptstädtischen Wandmalszene, plädiert dafür, Kunst und Werbung auseinanderzuhalten: „Das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Kommerzielle Werbung benutzt Kunst, hat aber nur eine Botschaft. Kaufen. Kunst sollte andere Botschaften haben.“

Wie mit vielen anderen Formen der Werbung ist auch mit der, die die Subkultur Graffiti vereinnahmt, gutes Geld zu verdienen. Mittlerweile gibt es Agenturen, die in jeder größeren deutschen Stadt Zugriff auf Wände haben – und sie ihren Kunden für Werbung anbieten.

Eine dieser Agenturen heißt Cromatics und hat Büros in Dresden und Berlin. Sie hat in der Vergangenheit bereits Wandwerbung für Unternehmen wie Adidas, Redbull, Netflix, Seat, H&M oder Lufthansa umgesetzt. Auch das Motiv an der Wand an der Ellerstraße wurde von Cromatics realisiert. Die Nachfrage nach derartigen Flächen scheint groß zu sein. Die Agentur bemüht sich daher derzeit, ihr Angebot an Wänden in Düsseldorf und anderen Städten auszubauen. Zu diesem Zweck werden Schreiben an Besitzer, teilweise auch an Mieter, jener Gebäude gesendet, die für die großflächigen Werbemotive geeignet erscheinen.

„Gerne wollen wir euch beziehungsweise den Eigentümern des Objekts anbieten, die Außenfassade kostenfrei in unser Portfolio aufzunehmen, um in Zukunft möglichst viele gemeinsame Projekte umsetzen zu können“, heißt es da. Je nach Budget und Projekt zwischen 3000 und 6000 Euro Miete verspricht man Hausbesitzern, die ihre Wand zur Verfügung stellen. Und das monatlich. Selbstverständlich könne man vor jedem Projekt individuell entscheiden, ob das geplante Motiv zusagt. Cromatics übernehme das Projektmanagement, betreue die Künstler und organisiere die benötigten Gewerke und Genehmigungen.

„Werbung im öffentlichen Raum, gerade in einer solchen Größe, muss von der Stadt genehmigt werden“, weiß Klaus Klinger. Im Fall der Ellerstraße hat man sich vor dem Aufbringen des Motivs um eine solche Genehmigung nicht bemüht, wie ein Stadtsprecher auf Anfrage wissen ließ: „Der Sachverhalt wird daher ordnungsbehördlich geprüft“, hieß es am 22. März. Zweieinhalb Wochen später ist der Mützenträger verschwunden. Die Seitenwand des Hauses ist nunmehr weiß. In der Regel bleibt eine gesprühte Werbung 28 Tage an der jeweiligen Fassade. Im Anschluss wird letztere durch die Agentur „fachmännisch neutralisiert“ – und ist somit bereit für den nächsten Kunden.

Ob die Wand an der Ellerstraße in Zukunft monochrom bleibt, wird die Zukunft zeigen. Für jene, die das Malen übernehmen, ist das Aufbringen der werbenden Motive – im Gegensatz zu den künstlerischen Arbeiten, die meist unbezahlt sind – jedenfalls ein einträglicher Job. Nils Becker findet, jeder Sprüher müsse für sich entscheiden, ob er derartige Aufträge annehme. „Ich selbst würd’s nicht machen.“ Grundsätzlich sei es ihm „völlig wumpe“, dass Werbung auf Fassaden gesprüht werde. Im Fall der Ellerstraße störe ihn in erster Linie das rigorose Vorgehen der Agentur. „Wände gibt es in der Stadt ja genug. Da muss man nicht hingehen und Werke anderer Künstler plattmachen.“

Dennoch weiß Becker natürlich aus eigener Erfahrung, wie viele Hausbesitzer man ansprechen muss, um eine Wand zur Verfügung gestellt zu bekommen. Nicht selten werde in dem Zusammenhang die Frage „Was bekomme ich denn dafür?“ gestellt, erzählt Klaus Klinger. Genau das könnte in Zukunft der springende Punkt sein. Wer seine Wand an eine Agentur vermietet, kann Einnahmen von um die 50 000 Euro jährlich generieren. Die Gruppe derer, die dieses Geld links liegen lässt, um der Kunst den Vorzug zu geben, dürfte mutmaßlich ziemlich überschaubar sein.

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