Konzert Zuckerbäcker-Musik und der erlösende Bruch

Düsseldorf · Warum es beim Sternzeichen-Konzert in der Tonhalle Neue Musik als Zugabe geben musste.

 Der Cellist Julian Steckel in der Tonhalle.

Der Cellist Julian Steckel in der Tonhalle.

Foto: Susanne Diesner

Es gibt in Sinfoniekonzerten programmatische Zusammenstellungen, die umschwebt ein Tonfall, der in der Färbung derart beschaffen ist, dass sie nach einem erlösenden Bruch schreien. So geschehen im ersten Teil des jüngsten Sternzeichenkonzerts in der Tonhalle. Unter der wenig Aufhebens um extrovertierte Dirigier-Manier machenden Leitung Joseph Bastians gehörte der erste Teil des Abends in der Tat derart gearteten Werken.

Ravels „Le Tombeau de Couperin“ – ursprünglich für das Klavier solo komponiert und 1919 für Orchester umgearbeitet – ist im Geiste einer französischen Trauermusik gefügt. Widmet sich dem Titel nach dem barocken Komponisten François Couperin, ist an Suiten jener Epoche angelehnt, durchdrungen von Anspielungen auf französische barocke Cembalomusik. Doch versteckt sich dahinter auch eine Hommage an im Ersten Weltkrieg verstorbene Kameraden des Komponisten. Eine Trauermusik, zumindest von der musikalischen Sprachwahl her, ist diese Musik indes nicht. Sie wirkte eher wie ein mit Weichzeichner versehenes Idyll aus einem Historienfilmchen.

Gleiches oder besser Ähnliches – Gleichmacherei ist der Tod der Kunst – darf für Tschaikowskys Variationen über ein Rokoko-Thema gelten. Das Thema stammt übrigens von dem Komponisten selbst und ist, so wie das gesamte Werk für Violoncello und Orchester, durchdrungen von einer historisierenden Grundhaltung, die mit feiner Virtuosität beträufelt und in typischer Manier des russischen Komponisten mit viel Charme in Töne gegossen ist. Auch hier erwies sich Bastian als ein sensibler Orchesterleiter; weiß, was seine Kollegen brauchen und eben auch, was sie nicht brauchen. Der ehemalige Bassposaunist des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks hat beste Kapellmeisterqualitäten. Das Publikum wurde zudem bezirzt von Julian Steckels Cellospiel, das so schön singen kann, dass es fast schon zu schön wird. Steckel traf den Ton der verspielten Raffinesse der Cello-Zauberei, den das Werk auch mit Hilfe des Cellisten Wilhelm Fitzenhagen – Widmungsträger, Freund Tschaikowskys, der so einiges an Knowhow mit Beisteuerte – in sich trägt.

Wir sind aber noch die Auflösung des Eingangs erwähnten Bruchs schuldig. Dieser musste schlicht nach so viel historisierendem Zuckerbäckerstil kommen – und er kam als Zugabe, nach dem entzückten Applaus des Publikums. Steckel dürfte gespürt haben, dass es etwas Gegenpoliges braucht, um das ästhetische Gleichgewicht in der Tonhalle zu wahren: Spielte Witold Lutosławskis grandiose Sacher Variation für Cellosolo (1975). Ein expressives Stück Neuer Musik.

Fast hätten wir das Geheimnis dieses Sternzeichens verschwiegen. Nach der Pause erklang zunächst das für seinen Lehrer Nikolai Rimsky-Korsakov geschriebene „Chant funèbre“ op. 5 von Igor Strawinsky. Ein frühes, schwermütig spätromantisches Werk aus dem Jahr 1908, das erst 2015 per Zufall wiederentdeckt wurde. Herrlich interpretiert durch Bastian und die Düsseldorfer Symphoniker.

Das eigentliche Geheimnis birgt – und das nach wie vor – das Hauptwerk des Abends in sich. Elgars erst im Verlauf seiner enigmatischen Geschichte mit dem Titel „Enigma-Variationen“ versehene musikalische Porträt-Sammlung seiner Freunde und Familie. Das Enigma, das Geheimnis der einzelnen Variationen, ist schon lange gelüftet, das hinter alle dem steckenden eigentlichen Enigma noch nicht, gibt es auch immer wieder Versuche herauszufinden, was Elgar als das Nicht-Gesagte in dieser Musik neblig verheißend bezeichnete. Liegt ohnehin das eigentliche Geheimnis dieser Musik in dem so melancholisch nostalgischen Thema, das in den Variationen zu kleinen aber musikalisch großen Porträts voller genialer Einfälle wird, mit deutlich gesteigertem Esprit verklanglicht durch die aufblühenden Symphoniker, die auch mal mit hier gebührendem Feuer von Bastian durch Elgars Welt geleitet wurden. Doch die stillen, feinen Momente scheinen Bastian dann doch noch eine Spur mehr zu liegen. Belebter Applaus.

Das Sternzeichen wird am Montag um 20 Uhr nochmal in der Tonhalle gegeben. Mehr Infos im Internet:

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