Serie Wie Düsseldorf sich in einen Ort der Literatur verwandelte

Düsseldorf · Im 18. Jahrhundert mutierte Pempelfort zum Schauplatz einer kulturellen Wende in der Stadt am Rhein: Der Dichter Friedrich Heinrich Jacobi und seine Frau Betty machten aus ihrem Landgut ein geistiges Arkadien.

 Inspirierende Idylle: Im Jacobi-Garten – heute Malkastenpark – schrieben, dachten, diskutierten oder verlustierten sich Dichter, Philosophen und Wissenschaftler.

Inspirierende Idylle: Im Jacobi-Garten – heute Malkastenpark – schrieben, dachten, diskutierten oder verlustierten sich Dichter, Philosophen und Wissenschaftler.

Foto: Thomas Frank

„Es war schon finster, als ich in Düsseldorf landete und mich daher mit Laternen nach Pempelfort bringen ließ, wo ich nach augenblicklicher Überraschung die freundlichste Aufnahme fand“ – es war der 6. November 1792, als Johann Wolfgang Goethe nach Düsseldorf kam, genauer nach Pempelfort, das sich seinerzeit noch vor den Toren der Stadt befand. Es war der zweite Besuch des Dichterfürsten in Pempelfort, der erste lag knapp 20 Jahre zurück.

 Das Jacobi-Haus in Pempelfort entwickelte sich im 18. Jahrhundert zu einem geistigen Zentrum mit europaweiter Wirkung.

Das Jacobi-Haus in Pempelfort entwickelte sich im 18. Jahrhundert zu einem geistigen Zentrum mit europaweiter Wirkung.

Foto: Thomas Frank

Schon als der junge Goethe im Juli 1774 in Pempelfort weilte, handelte es sich um mehr als eine bloße Stippvisite. Gemeinsam mit anderen renommierten Dichtern, Philosophen und Wissenschaftlern initiierte er eine kulturelle Wende in Düsseldorf: Die Stadt entwickelte sich zu einem geistigen Zentrum mit europaweiter Strahlkraft. Düsseldorf verwandelte sich in einen Ort der Literatur und füllte damit eine eigene Rubrik in Literaturzeitschriften. Schauplatz war das Landgut Pempelfort. Dort wohnten seit 1764 der Düsseldorfer Dichter Friedrich Heinrich Jacobi und seine Frau Helene Elisabeth, genannt Betty.

 Friedrich Heinrich Jacobi und Helene Elisabeth verwandelten ihr Pempelforter Landgut in ein geistiges Zentrum. Sein Porträt wird dem Maler Johann Christian von Mannlich zugeschrieben.

Friedrich Heinrich Jacobi und Helene Elisabeth verwandelten ihr Pempelforter Landgut in ein geistiges Zentrum. Sein Porträt wird dem Maler Johann Christian von Mannlich zugeschrieben.

Foto: Thomas Frank

Das Anwesen in der ländlichen Umgebung bestand aus mehreren Gebäuden und einem großen Garten, wo die aufgeklärten Geister – Frauen wie Männer – Tag und Nacht schrieben, lasen, dachten, diskutierten oder sich verlustierten – in gastfreundlicher und geselliger Atmosphäre, wie Goethe schrieb: „Ein freistehendes geräumiges Haus, in der Nachbarschaft von weitläufigen wohlgehaltenen  Gärten, im Sommer ein Paradies, auch im Winter höchst erfreulich. Jeder Sonnenblick ward in reinlicher, freier Umgebung genossen; abends oder bei ungünstigem Wetter zog man sich gern in die schönen großen Zimmer zurück, die behaglich, ohne Prunk ausgestattet, eine würdige Szene jeder geistreichen Unterhaltung darboten. Ein großes Speisezimmer, zahlreicher Familie und nie fehlenden Gästen geräumig, heiter und bequem, lud an eine lange Tafel, wo es nicht an wünschenswerten Speisen fehlte.“ Die Gästeliste liest sich wie das Who is Who der damaligen Zeit: Herzogin Anna Amalia, die Schriftstellerin Sophie von La Roche, der deutsche Dichter Christoph Martin Wieland, der französische Enzyklopädist Denis Diderot oder der Universalgelehrte Alexander von Humboldt.

 Helene Elisabeth Jacobi, die Ehefrau von Dichter Friedrich Heinrich Jacobi - ein Öl-Porträt von unbekannter Hand.

Helene Elisabeth Jacobi, die Ehefrau von Dichter Friedrich Heinrich Jacobi - ein Öl-Porträt von unbekannter Hand.

Foto: Thomas Frank

Im „Kreis von Pempelfort“ fand der Geist der Zeit seinen Widerhall: Geniekult, Verherrlichung der Freundschaft, Gefühlsschwärmerei, Sentimentalität – alle Zeichen standen auf „Sturm und Drang“.

20 Jahre währte dieses Arkadien des literarischen Lebens. Zu den Höhepunkten jener Ära gehören die Begegnungen zwischen Goethe und dem sechs Jahre älteren Friedrich Heinrich  Jacobi. Die Beziehung der beiden Dichter war von Freundschaft und Zuneigung geprägt, allerdings auch von Konflikten. So schrieb Goethe über Jacobi: „Er war ein sehr wohlgestalteter Mann, von den vorteilhaftesten Gesichtszügen, von einem zwar gemessenen, aber doch höchst gefälligen Betragen, bestimmt, in jedem gebildeten Kreise zu glänzen“. Nachdem sein Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ zum internationalen Bestseller mutiert war, ermutigte Goethe seinen Düsseldorfer Kollegen, auch Romane schreiben. Jacobi befolgte den Rat und verfasste die ersten deutschen philosophischen Romane „Eduard Allwills Briefsammlung“ und „Woldemar“. Doch mit „Woldemar“ konnte Goethe nicht viel anfangen. Sein Missfallen drückte er mit einer Verspottungs-Aktion aus. Im Kreis um Herzogin-Mutter Anna Amalia trug Goethe den Roman in Ettersburg im August 1779 vor. Die Helden des Romans ließ er vom Teufel holen. Das Werk wurde an eine Eiche genagelt und lächerlich gemacht. Anna Amalia ließ die Parodie drucken, Goethe reiste zu jener Zeit in die Schweiz. Jacobi reagierte entsetzt auf die sogenannte „Ettersburger Kreuzigung“, es kam zur Entzweiung. Beide sollten sich aber wieder annähern.

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