Zeitgenössische Musik „Weihnachtslieder“ mal ganz anders

Düsseldorf · In der Tonhalle waren zeitgenössische Kompositionen zum Thema mit Bariton Dietrich Henschel zu erleben.

 Xmas Contemporary mit Dietrich Henschel in der Tonhalle warf einen zeitgenössisch-kunstmusikalischen Blick auf Weihnachten.

Xmas Contemporary mit Dietrich Henschel in der Tonhalle warf einen zeitgenössisch-kunstmusikalischen Blick auf Weihnachten.

Foto: Jan Roloff/Tonhalle Düsseldorf

Denkt man an Weihnachtskonzerte, so kommt einem nicht auf Anhieb zeitgenössische Kunstmusik, Neue Musik, „neu“ klein- oder großgeschrieben oder Avantgarde – ein jeder wähle sich den ihm am stimmigsten erscheinenden Begriff – in den Sinn. Doch, um mal den üblichen Verdächtigen aus dem Adventsrepertoire wie beispielsweise Bachs Weihnachtsoratorium, Weihnachtslieder in variierenden Bearbeitungen und Co. einen Gegenpol zu bieten, hatte der Bariton Dietrich Henschel eine Idee. Zwölf zeitgenössische Komponisten aus verschiedenen Ländern und Kulturkreisen, bisweilen vielleicht auch unterschiedlichen kunstmusikalischen Traditionen, sollten für ihn etwa fünfminütige Werke für Gesang und Ensemble schöpfen, die mittelbar oder auch unmittelbar einen Bezug zu Weihnachten haben.

Nach einer Premiere mit den Auftragswerken am 7. Dezember in Berlin war das Kaleidoskop kunstmusikalischer Positionen zu „Weihnachten“ nun auch im Rahmen der zeitgenössischen Musikreihe „Supernova“ in der Tonhalle zu erleben. Henschel sang begleitet von dem mit wechselnden Besetzungen spielenden Ensemble Unitedberlin unter der Leitung der Dirigentin Gabriella Teychenné. Musik, die allesamt auf ihre individuelle Art aus dem Heute stammt.

Mal ironisch, mal postmodern eklektisch, mal ganz aus dem Klang schöpfend oder auch diskursiv, als Antithese oder auch Synthese als Musik über Musik oder auch schlicht im Geiste einer reduzierten Meditation begegnete dem neugierigen Publikum neben tiefgründigen Auseinandersetzungen mit dem Thema Weihnachten auch so manches vielleicht den einen oder anderen Verstörende. So regte sich in vielen offenbar innerer Protest gegen Jamie Mans (Jahrgang 1987) „Geburt“ für Bariton und Ensemble, das auf sehr explizite Art nach einem Text von Peter Stamm den Geburtsvorgang schildert und in bedrückend meandernde Klanggesten einbettet. Viele, die in der Pause das Konzert verließen, scheinen insbesondere an diesem Werk Anstoß genommen zu haben. Das zu bewerten ist schwierig, denn jeder nimmt Derartiges auf ganz eigene Weise wahr. Doch gerne hätte man einige der Empörten gefragt, ob sie sich auch in anderem Kontext vor expliziten Schilderungen oder gar bewegten Bildern angeekelt abwenden. Musik und kunstvolle Gesangs- und Sprachkunst scheint da doch noch tiefer zu wirken, als etwa die Bilder in einer Doku oder noch schlimmer in den doch so gerne und inbrünstig geguckten Krankenhaus- und Ärzteserien. Sei es drum.

Die Musik von Karim Al-Zand oder auch Trojahns „Christmas Greeting“ eröffneten klangästhetisch zum Nachsinnen anregende Perspektiven. Genauso wie Matan Porats klanglich dekonstruiertes Puppenhaus, Annette Schlünzs expressives „La Blancheur abolit le temps“ oder auch José María Sánchez Verdús fragilste „White Silence“, um die Werke des ersten Teils zu komplettieren. Und wieso regte dies alles zum Nachsinnen an? Weil man bei aller Unterscheidbarkeit hinter den intelligenten ästhetischen Kommentaren zu Weihnachten doch summa summarum eine, erstaunlich für das kunstmusikalische Heute, „typische“ Klangsprache entdecken kann. Die geprägt ist von großen mit feinsten Splittern aufgeladenen fast durchweg klangsinnlich eher in das etwas nebligere gefärbten Bögen, die ineinandergreifen. Dahinter mag auch jene oder diese ausgeklügelte Kompositionstechnik stecken.

Henschel bewies eine enorme interpretatorische Bandbreite zwischen klassischem Gesang, Sprechen, Hauchen oder auch das Hinausdehnen der stimmlichen Möglichkeiten über das Denkbare hinaus. Blieb man schlussendlich bis auf wenige Ausnahmen doch recht traditionell, was die Behandlung der Stimme angeht. So etwa bei Arno Waschk, dessen „Frohes Fest“ irgendetwas zwischen Loriots humoriger Weihnachtssatire und neo-post-wagnerianischem Epigonentum mit ordentlich Schuss Berg und Co. in sich barg. Apropos Berg – erstaunlich wie sehr seine Orchesterlieder noch bis heute in vielen Kompositionen für Ensemble und Gesang, mehrfach und immer wieder, nachzuhallen scheinen – aber das ist nur eine subjektive Erkenntnis aus dem Nachsinnen über diesen Abend und möchte keinen Anspruch an Allgemeingültigkeit postulieren.

Nach der Pause wurde das Tableau an zeitgenössischer Musik, schön geleitet von Teychenné, ergänzt durch Olga Rayevas „Sotto voce“, das sich als raffinierte Geräuschkulisse mit einem kirchenslawischen Text auseinandersetzte, Detlev Glanerts „Stille“, Michèle Reverdys nicht minder tiefgründiger Musiksprache oder auch Jobst Liebrechts „weihnacht“. Kleingeschrieben und ganz im Geiste der „lustigen“ – dadaistisch collagierten – Seite von Avantgarde. Nein nicht „Hurz!“ – nur ein bisschen. Um den Abend nachdenklich mit Vanessa Lanns „Tree of Life so Green“ zu beschließen.

Wenn Sie nun zumindest ein bisschen neugierig geworden sind, wie diese Musik wirklich „in echt“ klingt: „X-Mas Contemporary“ gibt es auch auf Konserve, erschienen bei Farao Classics.

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