Volker Pispers: Der Finger in der Wunde

Der Meister des politischen Kabaretts, präsentiert vor ausverkauftem Haus eine dreistündige, gnadenlose Abrechnung.

Düsseldorf. Er gibt sich keinen Illusionen über die Wirkung seiner Arbeit hin. Aufklärungsarbeit mögen andere sein politisches Kabarett nennen, er nennt es schlicht „modernen Ablasshandel“. Denn falls man irgendwann vor seinen Schöpfer trete und gefragt werde, welche Rolle man denn selbst im „Schweinesystem“ namens Kapitalismus übernommen habe, so könne man mit Hilfe der Kabarett-Eintrittskarten triumphierend behaupten: „Ich war im Widerstand.“

Wohl nie zuvor wird es so witzig und geistreich zugleich im Widerstand zugegangen sein wie bei Volker Pispers. Der Auftritt des Düsseldorfer Kabarettisten im seit Monaten ausverkauften Zakk ist natürlich dennoch keine lauschige Schunkelveranstaltung. Das liegt daran, dass Pispers nicht das schlechte Gewissen einer verängstigten Gesellschaft sein will. Auch nicht das einer in einem mitunter bemitleidenswerten Zustand dümpelnden parlamentarischen Demokratie oder sonst irgendeines Systems. Er ist der Finger in der Wunde, nicht mehr und nicht weniger.

Beispiele gefällig? Kein gutes Haar lässt er am sogenannten deutschen Jobwunder. „Eine Million Leiharbeiter, das ist moderner Sklavenhandel. Das ist unser Aufschwung“, poltert er. Pispers spricht Klartext und entlarvt damit so ganz nebenbei den verharmlosenden offiziellen Sprachgebrauch. So sprechen Pädagogen längst nicht mehr von verhaltensauffälligen, sondern von verhaltensoriginellen Kindern. Zynisch sei es, von sozialschwachen Menschen zu reden. „Die sind nicht sozialschwach, die sind finanzschwach.“ Sozialschwach sei Guido Westerwelle, die „selbst ernannte Freiheitsstatue der Republik“, legt er nach.

Damit niemand auf die Idee kommt, Volker Pispers Parteilichkeit vorzuwerfen, bekommt jeder Akteur in der deutschen Parteienlandschaft sein Fett weg. Die Sozialdemokraten mit ihrem Eiertanz um den letztlich verhinderten Rauswurf von Thilo Sarrazin, die Grünen mit ihrem „biologisch abbaubaren Gewissen“ und natürlich auch die Union. Insbesondere die Worthülsen der Kanzlerin haben es Pispers angetan. Zum Beispiel beim „Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg“ aus der Atomenergie. Am Tag nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima hätte Merkel noch verkündet, man könne „nicht sagen, unsere Atomkraftwerke sind sicher. Sie sind sicher.“ Ja, was den nun?

Pispers jammert nicht, er ist stinksauer. Seit 28 Jahren steht er auf der Bühne, mit den immer gleichen Themen, wie er sagt. Es scheint, als ob er all das nur ertragen könnte, indem er andere an seiner schlechten Laune teilhaben lässt. Die Ironie an der Geschichte ist, dass sein Publikum nach drei Stunden Gericht halten über den Zustand dieser Welt gut gelaunt das Zakk verlässt. Vielleicht ist ja wirklich etwas dran an der These, dass Kabarett in Wirklichkeit der moderne Ablasshandel ist.

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