Tonhalle: Ein Rückblick mit Spott

Urban Priol zieht über Politiker, Regierung und den gesammelten Irrsinn in der Welt her.

Düsseldorf. Urban Priol live ohne seine "Anstalt" und deren Insassen - funktioniert das überhaupt noch? Seit fast zwei Jahren läuft die Kabarett-Sendung "Neues aus der Anstalt" des gebürtigen Aschaffenburgers regelmäßig im ZDF und hat sich als ernstzunehmende Konkurrenz für den ARD-Dino "Scheibenwischer" etabliert.

Neben Priol und Kollege Georg Schramm, der zum Inventar in der Psychatrie-Kulisse gehört, treten dort illustre Gäste aus dem Genre auf, etwa Volker Pispers, Piet Klocke, Helge Schneider und Hagen Rether.

Nun steht Urban Priol, dessen halbe Frisur an ein Angora-Meerschweinchen nach dem Windkanal erinnert, aber auch immer wieder solo auf den Bühnen des Landes. Mit seinem schon traditionell zu nennenden Jahresrückblick-Programm "Tilt!" kam er am Dienstagabend in die Düsseldorfer Tonhalle.

"Du kommst nicht mehr nach: Morgens schreibst du was auf, mittags schmeißt du es wieder weg." So beschreibt der 47-Jährige die Schwierigkeiten des Kabarettisten angesichts der politischen und wirtschaftlichen Irrungen und Wirrungen.

Die Halbwertzeiten, lautet seine Botschaft, werden immer kürzer. Auch die angeblich goldene Uhr, die er sich auf dem Frankfurter Hauptbahnhof als sichere, ja profitable Geldanlage habe aufschwatzen lassen, sei bereits nach wenigen Duschgängen angerostet.

Ob Wahl in Bayern ("Wie konnte Gott das zulassen?") oder Olympia in China ("Pressefreiheit garantiert, aber nur im Sportteil") - Priol zieht es rückblickend durch den Kakao. Ob "Bonsai-Duce" in Italien oder "gallischer Hahn" im Élysée-Palast - Priol erinnert mit geballter Ironie an die Glanzleistungen dieser Politiker in 2008.

Seine beiden Lieblingsziele, "Neues aus der Anstalt"-Gucker wissen das, heißen aber Merkel und Köhler (CSU-Chef Seehofer ist für den Kabarettisten aus dem bayerisch-hessischen Grenzgebiet lediglich "der zweitgrößte Horst").

Mit herunterhängenden Mundwinkeln und stets tödlich beleidigt klingender Stimme parodiert er die Kanzlerin. "Diese kleine ulkige Frau in ihrem Hosenanzug" gehört noch zu seinen nettesten Bezeichnungen für Angela Merkel. Den Bundespräsidenten, als rhetorische Schlaftablette dargestellt, nennt er "Plapper-Moralist".

Nach rund drei Stunden ist klar: Urban Priol funktioniert auch außerhalb des TV-Studios. Und nach all den satirischen Erinnerungen an das vergangene Jahr verlässt der Zuschauer den Saal mit der beunruhigenden Frage im Kopf, ob nicht ganz Deutschland eine einzige große Anstalt ist.

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