Konzert Ray Chen, Bamberg und die Joseph-Joachim-Connection

Düsseldorf · Der Geiger entzückte mit den Bamberger Symphonikern das Publikum in der Tonhalle.

 Ray Chen gastierte schon jüngst in der Tonhalle. Auf dem Archivbild ist er mit den Düsseldorfer Symphonikern zu sehen.

Ray Chen gastierte schon jüngst in der Tonhalle. Auf dem Archivbild ist er mit den Düsseldorfer Symphonikern zu sehen.

Foto: Susanne Diesner

Die „Klassik“-Welt ist ein Dorf. Auch wenn an diesem Sätzchen nicht alles stimmt. Beispielsweise zuckt der Autor dieser Zeilen immer zusammen, wenn seine Finger das so unbefriedigend plakative Wort „Klassik“ schreiben. Doch dennoch kann man immer wieder erleben, wie viel Wahrheit in diesem simplen Diktum steckt.

Mitte Dezember war unser Principal Conductor, der Chefdirigent der Düsseldorfer Symphoniker Ádám Fischer, noch im schönen Bamberg zu Gast, um mit den Bamberger Symphonikern Haydn und Bartóks Blaubarts Burg zu dirigieren. Jene, das Bamberger Orchester, wiederum besuchten nun die Düsseldorfer Tonhalle gemeinsam mit dem Violinisten Ray Chen. Chen hingegen war im Sommer eingeladen, um mit den Düsseldorfer Symphonikern unter der Leitung des Generalmusikdirektors der Deutschen Oper am Rhein, Axel Kober, Beethovens Violinkonzert zu spielen. Hier in Düsseldorf mit den hiesigen Symphonikern. Auch hier in Düsseldorf fungierte Ray Chen schon im Frühjahr 2018 als gefeierter Ersatz für David Garrett bei einem Heinersdorff-Konzert mit dem London Philharmonic Orchestra und spielte als Zugabe die Caprice Nummer 21 von Paganini, die er auch diesmal nach seinem umjubelten Spiel zum Besten gegeben hat.

Geiger Ray Chen spielte sein „Lieblingsstück“

Nun, wieder bei einem Heinersdorff-Konzert, diesmal zusammen mit den Bambergern unter ihrem Chef Jakub Hrůša, spielte Chen sein „Lieblingsstück“ – wie es werbewirksam als Überschrift über dem Konzert im Mendelssohn-Saal stand. Max Bruchs – geboren 1838 im benachbarten Köln und gestorben 1920, also gedenken wir 2020 seinem 100. Todestag – One-Hit-Wonder: sein Violinkonzert Nr. 1 in g-Moll op. 26. Wobei man dem Schöpfer des, übrigens Joseph Joachim gewidmeten, Konzerts unrecht täte, wenn man ihn nur auf dieses eine überschäumend romantische Stück Musik reduzierte. Dennoch passiert es nun mal – war sogar schon zu seinen Lebzeiten abzusehen.

Joseph Joachim, dies sei der Vollständigkeit halber erwähnt, auch wie Bruch in Berlin gestorben, einer der namhaftesten Geiger seiner Zeit, hatte übrigens sowohl bei Brahms’ Violinkonzert – dessen erste Sinfonie an diesem Abend auch gespielt wurde – und auch bei Bruchs Konzert beratend zur Seite gestanden. Bruch hatte sein Violinkonzert Joachim gewidmet, und er war es auch, der das Stück bei der Uraufführung spielte. Aber die feinen Nornen-Fäden zwischen alledem sind hiermit noch nicht ausgeschöpft. Der australisch taiwanische Geiger Chen spielt just auf einer Stradivari aus 1715 – eine Leihgabe der Nippon Music Foundation –, die seinerzeit von eben diesem Joseph Joachim gespielt wurde und schlicht, aber treffend den Namen „Joachim“ trägt.

Ray Chen zauberte auf der Geige von Joseph Joachim

Und was vermochte der 1989 in Taipeh geborene und in Australien aufgewachsene Geiger auf seiner Joachim zu zaubern. Die vor emotionaler Leidenschaft schäumende Musik Bruchs erfüllt der Violinist mit unbändiger musikalischer Hingabe. Er legt sich bisweilen förmlich in die großen Gesten hinein, vermag mit seinem Instrument mit Inbrunst zu singen. Ohne Kompromisse romantisch – mit Perfektion. Die schmalen Hände, die dünnen Finger Chens zaubern eine betörende Kraft. Beobachtet man seine Finger der linken Hand, wird einem fast angst und bange, wie die spitzen muskulösen, aber feinen Finger die Kräfte zu bewältigen wissen, die Chen seiner Anatomie mühelos abzufordern vermag. Dabei ist seine Technik – so ungewöhnlich sie manchmal anzuschauen ist – fokussiert bis in die kleinste Phrase. Jauchzend steigen Läufe empor, bittersüße Melancholie schleicht sich immer wieder in die nur selten etwas überzeichnete Klangsprache des Charismatikers.

Ein Charismatiker ist auch Jakub Hrůša, der aber manchmal seine Dirigenten-Show mit bedeutungsschwangeren Blicken und nicht minder Impetus zeigenden Bewegungen, vielleicht manchmal zu sehr auf den Effekt getrimmt hat. Aber bitte, der gebürtige Brünner, Jahrgang 1981, der seit 2016 Chefdirigent der Bamberger Symphoniker ist und dessen Vertrag schon 2018 bis 2026 verlängert wurde, ist ein guter Dirigent. Ein Dirigent, der seinem Orchester grenzgängerischen Ausdruck entlocken möchte.

Nach dem Vorspiel zu Wagners „Lohengrin“ zeigten die Bamberger mit Brahms erster Sinfonie genau diese – indes im Werk angelegte – Leidenschaft. Lodernd und kraftvoll. Dass dabei manches Detail links liegen bleiben darf, ist eine Entscheidung, die ein Dirigent mit seinem Orchester getrost treffen darf. Manche andere interpretatorische Entscheidung allerdings mag diskutierbar sein. So wirkte der dritte Satz, trotz eines nicht zu schnellen Tempos, etwas rastlos. Als konstituierendes Element des großen Brahmsschen Kompositionskonstrukts sind die Details dann doch wichtiger als man denkt. In dieser grandios gefügten Musik ist nun wirklich keine Phrase, kein Akzent überflüssig.

Vielleicht wäre etwas weniger gezeigtes Esprit und etwas mehr „Handwerk“ – natürlich beherrscht das Hrůša zweifelsohne – hier und da hilfreicher für das sehr musikalische Orchester, das nicht zuletzt von einem betörenden Streicherklang lebt. Und von ihrem hervorragenden Konzertmeister Ilian Garnetz. Der sich im, in Teilen für Orchester durch rhythmische „Fallen“, die aber die Bamberger schön meisterten, höllisch schwerem Andante auch noch als überaus kultivierter Solist zeigte.  

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