Theaterpremiere: Die bis zum Tod tanzen

Amélie Niermeyer widmet sich in ihrer letzten Inszenierung dem Showbusiness.

Düsseldorf. Der Termin passt genau: Gerade an dem Wochenende, an dem in Düsseldorf der Eurovision Song Contest die ganze Stadt in eine Show-Bühne verwandelt, blicken die Theater-Zuschauer im Central am Hauptbahnhof in die Abgründe eines medial ausgeschlachteten Tanzwettbewerbs. Hier glänzt selbst der Schein nicht mehr. Einen Regen aus Geld und Glück versprechen die Moderatoren von „Eternity Dance“ im billigen Glitzer-Look. Die Wahrheit ist: Stunden, Tage, Wochen verbringen die Paare auf dem Parkett. Tanzen, Essen, Schlafen — alles geregelt und live übertragen von Kameras vor und hinter den Kulissen.

Warum verausgaben sich diese Menschen und nehmen sogar ihren Tod in Kauf? Dieser Frage spürte der amerikanische Autor Horace McCoy 1935 in seinem Roman „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“ nach. Auf die Kinoleinwand brachte Sydney Pollack den Tanzmarathon 1969.

Schauspielhaus-Intendantin Amelié Niermeyer, die Düsseldorf zum Ende der Spielzeit verlässt, beauftragte für ihre gleichnamige Abschlussinszenierung die Autoren Lutz Hübner und Martin Heckmanns. Die beiden haben sich eng an die Vorlage gehalten. Aktualisierende Sprüche wie der Wunsch nach einer Herren-Boutique in Wuppertal oder der Hinweis aufs Dortmunder Sechs-Tage-Rennen wirken eher unpassend.

Stark dagegen ist die religiöse Note, die ihre Vorlage hat. „Es war der 17. Tag, und ich sah, dass es gut war“, sagt Moderator Donald (Rainer Galke), selbsternannter Gott des Tanzes. Ein anderes Mal bringt er die Perversion auf den Punkt, sobald die Kameras wegschauen: „Die Leute wollen reines, pures Elend sehen.“

Big Brother, Let’s Dance, Deutschland sucht den Superstar und der Eurovision Song Contest stehen Pate für die Show, die Niermeyer auf die Bühne bringt. Auf zwei Leinwände übertragen Kameraleute das Geschehen, gehen nah ran, wenn Teilnehmer zusammenbrechen. Selbst Waschräume und Toiletten sind keine private Zone. Gloria (Nadine Geyersbach) setzt Ruth (Lisa Arnold) zu. „Wie kann man in diese Welt noch Kinder setzen wollen?“ Nach mehr als 40 Tagen Tanz läuft der jungen Frau das Blut die Beine herunter.

Es gelingt Niermeyer gut, den Zuschauern vor Augen zu führen, wie gegenwärtig genau diese Art von Unterhaltung ist. Schwach ist die Inszenierung da, wo es tiefer gehen könnte, wo es um die Verlierer und ihre Motivation geht. Gloria und Robert (Marian Kindermann) stehen für verschiedene Sichtweisen aufs Leben. Gloria sagt: „Ich bin nichts, und ich will nicht mehr.“ Robert glaubt an einen möglichen Anfang zu zweit.

Auf den Leinwänden kommt man ihnen nicht nah und auf der Bühne ist zu viel los, als dass sich intensive Momente einstellen könnten. Viel Applaus gab es für ein starkes Ensemble, von dem man sich in den nächsten Wochen verabschieden muss.

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