Theater: Die Geschichte des Kapitalismus

Falk Richter bringt Houellebecqs Roman „Karte und Gebiet“ mit perfektem Timing auf die Bühne.

Düsseldorf. Er kratzt sich. Am Fuß und am Rücken, und weil er dieses juckende Ekzem nicht mehr aushält, greift er sich vorne in die Hose. „Ich bin ein wandelnder Infektionsherd“, sagt Michel Houellebecq. Er fühlt sich unwohl in seiner Haut.

Wie unwohl, das schreibt er in „Karte und Gebiet“. Im Roman taucht er selbst als misanthropischer Schriftsteller auf und verbreitet seine Gedanken wie einen Virus. Regisseur Falk Richter bringt den 2010 in Frankreich erschienen Text perfekt verdichtet in drei Stunden auf die Bühne. Als deutschsprachige Erstaufführung zeigt er, was Houellebecq eine kurze Geschichte des Kapitalismus nennt.

Es ist eine künstlerische Beschreibung der Welt, erläutert Houellebecq (Olaf Johannessen), was der Maler Jed Martin (Christoph Luser) schafft: Als Student fotografiert er Metallgegenstände, mit der Abbildung von Michelin-Karten wird er bekannt und mit Porträts berühmter Persönlichkeiten verdient er Millionen. Der Markt liebt seine Bilder:

Für „Bill Gates und Steve Jobs unterhalten sich über die Zukunft der Informatik“ zahlt ein Amerikaner 1,5 Millionen Euro, das Gemälde „Michel Houllebecq, Schriftsteller“ wird auf 900 000 Euro geschätzt. Martin schenkt es dem Autor. Später wird es diesen das Leben kosten. Die Geschichte des Künstlers bekommt eine erstaunliche Wendung zum Kriminalfall.

Kunst, Geld und Globalisierung — das sind gerade für Düsseldorf passende Themen. Hausregisseur Richter zeigt mit gut gewählten Mitteln, was den zynischen Analytiker aus Frankreich umtreibt. Als Erzähler wenden sich die Schauspieler ans Publikum, während andere Kindheit, Jugend und erste Erfolge des Malers mit Modellpüppchen vor einer Kamera nachspielen.

Die Projektion illustriert das Gehörte. Vergangenes erscheint in Bildern, gespielte Szenen folgen erzählten. Richter beweist ein Gespür für das richtige Tempo. Dazu liefert Malte Beckenbach einen stimmigen Soundtrack, mal atmosphärisch, mal elektronisch verstörend, einmal gar schlagertauglich mit dem Song „Fette Beute“, den Galerist (Moritz Führmann) und PR-Agentin (Karin Pfammatter) lustvoll schmettern.

Luser verkörpert den Weltbeobachter Martin gekonnt introvertiert und feinsinnig: Kopf und Schultern stets etwas zusammengezogen steht er abseits. In Gesprächen mit dem Vater (Werner Rehm) erscheint seine Melancholie in jeder ungelenken Bewegung. Dass Luser auch anders kann, zeigt er als technikfixierter Computerexperte.

Hier leistet sich Regisseur Richter einen kurzen Ausflug ins Boulevardeske. Türen knallen, Schnaps wird gereicht. Komische Momente, die überleiten zur Betrachtung des Älterwerdens, des Verfalls von Körper und Ideal. Und zur Antwort auf die Frage, was die Menschen treibt: Geld.

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