Susanne Tremper über Edith Piaf: „Sie singt, als lebe sie drei Leben zugleich“

Mit Männer-Arien trainiert Susanne Tremper für ihre nächste Premiere. Sie singt Chansons von Edith Piaf.

Düsseldorf. Wenn Susanne Tremper in ihren Keller hinabsteigt, brüllt sie, als rücke ihr jemand zu Leibe. Sie hat nun mal keinen tosenden Ozean vor der Haustür, gegen den sie ansingen könnte. Auch wenn eine solche poetische Übung, wie sie einmal ihre amerikanische Kollegin Mahalia Jackson empfahl, natürlich viel mehr hermacht. Eine Stunde Klavier, Enrico Caruso, das Ave Maria und alle Stimmen aus der Fledermaus sind nur ein Teil ihrer Tagesration, die sie zwischen Lampions, Rosen und Weihnachtssternen absolviert.

„Ich musste es mir in diesem Loch nett machen.“ Bis zu acht Stunden täglich begibt sich die Schauspielerin in ihr Trainingscamp im Untergeschoss des Schauspielhauses und bereitet sich auf die Premiere in der kommenden Woche vor. „Piaf. Das Konzert“ wird am 30. November uraufgeführt, und bis dahin wird Susanne Tremper noch viele Männer-Arien singen, um ihre Stimme weiter zu kräftigen.

Die Piaf und die Tremper — das ist eine langjährige Beziehung. Als 15-Jährige gewinnt Susanne Tremper mit „Non, je ne regrette rien“ einen Wettbewerb, obwohl sie sämtliche Liedstrophen mit nur drei Vokabeln bestückt: la fenêtre (Fenster), le stylo (Kugelschreiber), le soulier (Schuh). „Es waren die einzigen französischen Wörter, die ich damals kannte“, sagt sie. Seither ist Edith Piaf eine wiederkehrende Rolle in ihrer Laufbahn. Hunderte Interviews mit ihr hat sie zu Hause, Konzertaufnahmen und Biografien. „Was ich an ihr so liebe, ist die wahnsinnige Lebensenergie, die sie besaß. Sie singt jeden Ton so, als lebe sie drei Leben zugleich.“ Dasselbe Kraftfeld entdeckt sie bei Amy Winehouse. Eine moderne Piaf?

„Auf jeden Fall.“ Es seien immer diese Freddie Mercurys und Amy Winehouses, diese Edith Piafs und Janis Joplins, die exzessiv ihren Weg gingen und die damit verbundenen Risiken nicht vollends wahrnehmen. „Mit Selbstzerstörung“, meint Tremper, „hat das nichts zu tun. Dahinter steckt wahnsinnige Begeisterung und Disziplin.“

In ihrem Keller hat Susanne Tremper eine Chaiselongue aufgestellt und Fotos der Französin aufgehängt. „So nah wie möglich“ will sie ihr kommen. Dazu überdenkt sie zwei Biografien: Immer wieder die der Piaf und die eigene, die von gerade so vielen Unwägbarkeiten gezeichnet ist, dass es ausreicht, um Schicksalsschläge pur und ohne Pathos in eine bühnentaugliche Form zu gießen.

Susanne Tremper zieht mit 15 Jahren von zu Hause aus. Sie leidet unter der Scheidung der Eltern, lebt zunächst bei ihrer Mutter, große Sprünge können sie sich nicht erlauben. Die Jugendliche ist auf sich gestellt. Ihren Lebensunterhalt, die Miete, die spätere Ausbildung an der Max-Reinhardt-Schule in Berlin bestreitet sie ganz allein. „Ich habe bis um drei Uhr morgens in Folkclubs gesungen.“

Das Schiller Theater engagiert sie mit 18 für eine Hauptrolle. „Was ich vom Leben will, habe ich anfangs gar nicht genau gewusst. Aber ich habe mich immer schon was getraut. Eine große Begabung ist vielleicht nie da gewesen.“

Der Komponist Hans-Bernd Blum ist damals anderer Ansicht. Ende der 60er Jahre komponiert er ein Stück, das Susanne Tremper groß herausbringen soll. Sie lehnt ab, will nicht in die Schlagerbranche wechseln und überlässt einer anderen ihr Lied: Die 25 Jahre alte Alexandra wird mit „Zigeunerjunge“ über Nacht ein Star.

Wenn Susanne Tremper am nächsten Mittwoch auf der Bühne steht und bekannte wie weniger bekannte Chansons der Piaf singt, hat sie Wochen „ekelerregender Disziplin“ hinter sich. Um zehn geht sie ins Bett, um 6.30 Uhr steht sie auf. Ihre Tage beginnen wenig verführerisch mit Yoga, Ballett, Jogging und Müsli. Trotzdem strahlt die 63-Jährige übers ganze Gesicht, wenn sie von ihrer Arbeit und von Piaf spricht. „Es ist das reine Glück. Diese kleine Frau hat todkrank für ihre Deutschlandtournee geprobt, hat sich immer wieder für ihre Auftritte zusammengerissen. Die Kraft, die von dieser Haltung ausgeht, ist der Grund dafür, dass ich so hart trainiere.“

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