„Bündnis Kunstvirus“ Susanne Ristow: „Wir sind für die Besucher das Gesicht des Museums“

Düsseldorf · Die Künstlerin und Kunstvermittlerin gründete mit 25 „Mittätern“ ein Bündnis, um Synergie-Effekte zu schaffen.

 Susanne Ristow gründete das „Bündnis Kunstvirus“.

Susanne Ristow gründete das „Bündnis Kunstvirus“.

Foto: Dieter Laakmann

Susanne Ristow beherrscht die Kunst wie die Wissenschaft. Sie ist blitzgescheit und kreativ zugleich. Als Künstlerin deckt sie fast alle Disziplinen von der Zeichnung über die Malerei, Performance, Installation und Skulptur ab, und sie betört zugleich als freie Kunstvermittlerin in den hiesigen Museen. Sie will jedoch nicht länger von der „musealen Gnade“ dieser Häuser abhängen, die in Corona-Zeiten sowieso nichts von ihnen wissen wollen. So schuf sie das „Bündnis Kunstvirus“ – mit folgendem Sinn: „Wir sind für die Besucher das Gesicht des Museums.“

„Kunstvermittlung ist das Kerngeschäft kultureller Bildung, ist die Basis einer offenen Kommunikation der Museen“ – so lautet Ristows Standpunkt. Daher gilt für sie die These: „Wir sind nicht die kleinen, freien, flinken Mäuse. Uns geht es um die Annäherung von Kunst und Leben.“ Warum aber nennt sie ihren losen Zusammenschluss ausgerechnet einen Virus, was in Corona-Zeiten beinahe perfide wirken könnte? Sie verteidigt den Begriff sofort: „Uns geht es um das künstlerische Ferment, um Synergie-Effekte zwischen der Kunstszene und dem Museum. Viren neigen zu Mutation, sind ein Synonym für Veränderung. Kunst braucht stets den Rezipienten und mithin den gesellschaftlichen Kontext. Ein Museum ist ja kein Ding, das da steht und wartet, bis die Leute kommen.“

25 „Mittäter“ hat sie für ihre Plattform gefunden. Sie bilden keinen Verein, sondern eine Initiative aus Solo-Selbstständigen. „Wir sind freie Mitarbeiter an den beiden großen Häusern in Düsseldorf. Wir haben zwar Kontakt zu einer ähnlichen Gruppe von der Documenta in Kassel, aber wir wollen nicht wachsen. Wir bleiben unseren Qualitätsstandards treu, denn im Kunstmuseum der 1970er Jahre saßen mit Wilhelm Zacher und Cornelia Brüninghaus-Knubel die ersten Pioniere, die ein Verständnis für die demokratische Teilhabe der Bevölkerung an Ausstellungen und Sammlungsbeständen hatten.“

Die heutigen Mitstreiter wussten anfangs wenig voneinander und von ihren Fähigkeiten. Da ist die junge Kollegin, die auch im Urban-Art-Festival dabei ist, oder der Kollege, der zugleich die Kemp-Stiftung betreut. Sie sehen sich nicht als Didaktiker und Kunstpädagogen, die den Inhalt eines Katalogs wie ein Glaubensbekenntnis mit sich herumtragen. Sie betrachten sich als selbstständig denkende Menschen, die ihren Zuhörern und Kunstbetrachtern Impulse für eigene Erfahrungen und Ideen mitgeben wollen. Wer nicht fest angestellt ist, könne es sich erlauben, auch mal anderer Meinung als der Museumschef oder die Chefin zu sein. Susanne Ristow steht recht selbstbewusst auf dem festen Standpunkt, dass Kunst nicht im luftleeren Museumsraum existiert, sondern nur durch Kommunikation zum Leben erweckt wird.

Als belesene Frau hält sie sich an Umberto Ecos Buch „Das offene Kunstwerk“ (1962), für sie eine der einflussreichsten Arbeiten zur modernen Ästhetik. Ihre These: „Moderne Kunstwerke transportieren keinen eindeutigen Sinn, der vom Rezipienten passiv aufgenommen wird, sondern gewinnen in jeder Interpretation eine eigene Bedeutung.“ Obwohl sie als Künstlerin immer wieder Stipendien und Auszeichnungen erhielt, liebt sie ihre freiberufliche Tätigkeit als „zweites Spielfeld“.

Ihr „Kooperationsbündnis“ sei notwendig, um nicht unsichtbar zu werden. Sie will für ihren losen Zusammenschluss mehr Präsenz in der Öffentlichkeit erhalten. Als promovierte Medienwissenschaftlerin nimmt sie es mit jedem Kurator auf. Kunst mache nur Sinn, wenn man ihr begegnet, mit ihr kommuniziert und in ihr eben einen „Virus“ sieht, der weiter wirkt. Sie ist der festen Meinung, dass mit der Corona-Krise auch eine Änderung in den Köpfen der Menschen eintreten werde, sich nicht nur mit der Oberfläche der Ware Kunst zu beschäftigen, sondern in tiefere Schichten einzudringen, auf dass die alten Mythen und Geschichten eine neue Energie erhalten.

Ein Museum könne und solle dann auch eine Experimentierstation sein. Der einstige Abteilungsleiter der Moderne im Kunstmuseum (heute Kunstpalast), Stephan von Wiese, habe es vorgemacht, wie man mit Projekten wie „Treibhaus“ und „Brennpunkt“ Verbindungen zwischen den Exponaten und dem Publikum schaffe. In ihrem Bündnis befänden sich daher nur Leute, die Lust hätten, etwas zu bewegen. Und die ersten 30 Unterstützer fühlen sich mit ihnen solidarisch.

Susanne Ristow hat 2006 den unabhängigen Kunstverein Capribatterie mitbegründet, der dem Kunsttransfer zwischen Düsseldorf und der kulturell vielschichtigen Stadt Neapel gilt. Und sie sitzt neuerdings im Vorstand des Malkastens und ist auch dort bemüht, „dass die Leute nicht nur rumstehen, sondern miteinander ins Gespräch kommen und sich über Inhalte unterhalten.“ Ihr Appell gilt aber auch allen Künstlern. Sie sollten sich als Vermittler, Kuratoren, Forscher, Wissenschaftler und interdisziplinäre Botschafter begreifen. Sie plädiert für eine unabhängige Geisteshaltung, die nichts mit der Vermittlung im Kunsthandel und nichts mit einer PR-Maschine im Museum zu tun habe. Es gehe um Aufklärung im Sinne von Selbstverantwortung und Selbstständigkeit.

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