Architektur Als Los Angeles nach Düsseldorf kam

Düsseldorf · Stadtmuseum: In der Schau „Flyover“ erforscht Künstlerin Julia Zinnbauer kalifornische Architektur am Rhein.

 Zieht die Blicke sofort auf sich: Julia Zinnbauers wandfüllendes Foto vom Stahl House in den Hollywood Hills von Los Angeles. Dahinter das goldene Fragment einer geodätischen Kuppel aus Pappe.

Zieht die Blicke sofort auf sich: Julia Zinnbauers wandfüllendes Foto vom Stahl House in den Hollywood Hills von Los Angeles. Dahinter das goldene Fragment einer geodätischen Kuppel aus Pappe.

Foto: Thomas Frank

Wer den Ausstellungsraum im Stadtmuseum betritt, trifft auf ein wandfüllendes Foto, das sofort in den Bann zieht: Es zeigt das Stahl House in den Hollywood Hills von Los Angeles. Fast die gesamte Fassade aus Glas, nur weiße Stahlträger unter dem weiten, schattenspendenden Dach. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau, im Tal erstreckt sich die Stadt bis zum Horizont. Im gläsernen Raum steht Künstlerin Julia Zinnbauer in hellblauem Kleid – so im Licht, als wäre sie eine Traumfigur. Dieses Foto spiegelt viele Vorstellungen wieder, die mit Kalifornien verbunden sind: Ort der Sehnsucht, des Sommers, der Weite, der Schönheit. Im Stahl House begann die Düsseldorfer Künstlerin Julia Zinnbauer vor zehn Jahren ihre Recherchen zur Architektur der Nachkriegsmoderne. Nun zeigt sie ihre Ergebnisse in der Ausstellung „Flyover“ im Stadtmuseum. Hauptsächlich als Kunstwerke. Als Katalysator für die Schau diente auch Zinnbauers WZ-Serie zum kalifornischen Bungalow des Düsseldorfer Architekten Paul Schneider-Esleben in Haan-Gruiten.

 Aus Taft und Tüll: Julia Zinnbauers Kleid für die autogerechte Stadt.

Aus Taft und Tüll: Julia Zinnbauers Kleid für die autogerechte Stadt.

Foto: Thomas Frank

Zinnbauer, 1977 geboren, erforscht, wie sich Düsseldorfer Architekten nach dem Zweiten Weltkrieg von amerikanischen BauMeistern inspirieren ließen. Walter Brune oder Paul Schneider-Esleben wollten ihre zerstörte Heimatstadt wieder aufbauen, allerdings modern, das heißt: klar, naturverbunden, filigran, funktional. Wohnraum musste schnell her, Häuser musste man auf Masse produzieren, sie so konstruieren, dass man vorfabrizierte Teile verwenden konnte. Und: Sie mussten dem neuen Ideal der „autogerechten Stadt“ folgen. Autos galten als das Maß aller Dinge, sie sollten ungehindert durch die Städte fahren. Der Hotspot des architektonischen Fortschritts befand sich seinerzeit in den USA. In New York, Chicago und: Los Angeles. Also flogen die rheinischen Bau-Meister über den großen Teich, um sich die Gebäude von Pierre Koenig oder Richard Neutra anzuschauen oder die Architekten selbst zu treffen. Das kalifornische Lebensgefühl holten sie dann nach Hause. US-amerikanische Architekten kamen aber auch an den Rhein, um ihre Entwürfe umzusetzen. Vor allem eine Wohnform sollte in Westdeutschland ihren Siegeszug antreten: der Bungalow. Zinnbauer hält die Flachdach-Bauten fotografisch fest: Walter Brunes Barbarahof in Düsseldorf, Bungalows von Paul Schneider-Esleben in Gruiten oder von Richard Neutra in Wuppertal (Haus Kemper, Haus Pescher). Weiße Fassaden, Wohnzimmer mit bodentiefen Glasfenstern, Veranda, Garten und Pool.

 Zinnbauer mit Architekt Walter Brune in seinem Bungalow.

Zinnbauer mit Architekt Walter Brune in seinem Bungalow.

Foto: Julia Zinnbauer

Zinnbauer erkundet die Bauten der Nachkriegsmoderne auch filmisch – und setzt sich häufig selbst ins Bild. So sieht man, wie sie das weiße Lovell House in L.A. umschreitet. Sie trifft aber auch die Architekten selbst: etwa Walter Brune in seinem Barbarahof bei Campari-Orange oder Dion Neutra, den Sohn von Richard, in Los Angeles. Lässt sich ihre Ideen erklären, ihre Gebäude zeigen oder blättert mit ihnen durch Architektur-Bücher. Wir erleben die modernen Bauten, ihre Architekten und Bewohner immer durch die Augen der Künstlerin, die sich von ihren Sujets begeistert zeigt – auf diese Weise macht sie Architektur lebendig und begeistert uns mit.

 Originale Hortenkacheln: Architekt Helmut Rohde entwarf sie für die Horten-Hauptverwaltung im Büroviertel „Am Seestern“ in Düsseldorf-Lörick. Der Verwaltungsbau wurde nach amerikanischem Vorbild errichtet.

Originale Hortenkacheln: Architekt Helmut Rohde entwarf sie für die Horten-Hauptverwaltung im Büroviertel „Am Seestern“ in Düsseldorf-Lörick. Der Verwaltungsbau wurde nach amerikanischem Vorbild errichtet.

Foto: Thomas Frank

Erst recht, wenn sie die nicht unumstrittenen Architekturen der Nachkriegsmoderne in Mode verwandelt: Aus Taft und Tüll entwarf Zinnbauer ein „Kleid für die autogerechte Stadt“. Das Muster besteht aus sich überkreuzenden, schwarzen und transparenten Autobahnspuren. Das Kleid ist eine Hommage an den „Tausendfüßler“, jene Düsseldorfer Autohochstraße, die 2013 abgerissen wurde. Für Zinnbauer symbolisierte dieser Flyover amerikanisches Großstadtgefühl – sein Verschwinden hat sie bis heute nicht verwunden.

So bringt Zinnbauer bei aller Faszination für die kalifornisch inspirierten Gebäude auch ihre Trauer über deren Niederrisse zum Ausdruck. Etwa mit dem Fragment einer geodätischen Kuppel aus goldglänzender Pappe – anspielend auf die revolutionäre Erfindung des amerikanischen Architekten Richard Buckminster Fuller. Ebenso präsentiert Zinnbauer Fundstücke, die sie vor dem Entschwinden bewahrt hat: Etwa die Hortenkacheln, die Helmut Rohde in den 1960er Jahren für die Horten-Hauptverwaltung im Büroviertel „Am Seestern“ in Düsseldorf-Lörick entwarf. Rohde ließ sich für den Verwaltungsbau des Warenhauskonzerns – mit den ersten Großraumbüros in Deutschland – von amerikanischen Vorbildern beeinflussen.

„Flyover. Los Angeles und die Architektur der Nachkriegsmoderne in Düsseldorf“, bis 15. September im Stadtmuseum, Berger Allee 2. 

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