Schauspiel Lulu am Düsseldorfer Schauspielhaus – eine Performance?

Düsseldorf · Bernadette Sonnenbichlers Version von Wedekinds „Die Büchse der Pandora – Eine Monstretragödie“ am Schauspielhaus mutierte zu einem Zitatenreigen.

 Lieke Hoppe und Florian Steffens in der Düsseldorfer „Lulu" nach Frank Wedekind in einer Inszenierung von Bernadette Sonnenbichler.

Lieke Hoppe und Florian Steffens in der Düsseldorfer „Lulu" nach Frank Wedekind in einer Inszenierung von Bernadette Sonnenbichler.

Foto: Thomas Rabsch

„Denn die alte Kunst kann und soll nicht verändert werden. Das Einzige, was wir mit ihr tun können, ist, die heutige Welt an ihr zu vermessen und zu schauen, wieweit es mit der Fortschrittlichkeit, von der aus wir alte Weltbilder heraus bewerten wollen, tatsächlich ist“, schreibt Sophie Passmann im Spielzeitheft des Schauspielhauses Düsseldorf über „Lulu“. Wie sehr doch dieses Statement dem zu widersprechen scheint, was am Schauspielhaus Düsseldorf gepflegter Diskurs ist und dessen seismische Wellen sich auch in und über die aktuelle Inszenierung von Frank Wedekinds Lulu-Stoff ausbreiten.

Regisseurin Bernadette Sonnenbichler und Dramaturgin Janine Ortiz haben sich Wedekinds Ur-Lulu vorgenommen, die eigentlich gar nicht Lulu sondern „Die Büchse der Pandora – Eine Monstretragödie“ heißt und nun Premiere am Großen Haus feierte. Doch am Schauspielhaus stellt man sich emphatisch Fragen, bevor man ein Werk wie dieses, bei dem es um eine, indes sonderbar vielschichtige, Personifikation eines durch männliche Perspektive Geschaffenen weiblichen Lustobjekts geht.

Im Vorfeld der Inszenierung gab es einen regen Diskurs

Darf man heute – in einer vom Schauspielhaus konstatierten diversen und von Rollenzuschreibungen emanzipierten Theatersphäre – überhaupt Schauspielerinnen dazu nötigen, eine derartige Figur zu verkörpern? Die, selbst wenn sie sich aus der Fremdbestimmtheit als sexualisiertes Lustobjekt toxischer männlicher Begierde herausschält, schließlich doch als „Strafe“ für das Aufbegehren gegen die gesellschaftliche Norm, das Schicksal ereilt, tief zu fallen und von Frauenmörder Jack the Ripper getötet zu werden. Darf man heute Wedekinds Stoff überhaupt noch inszenieren, ohne es gehörig zu brechen, ohne jene „alte Kunst zu verändern?“

Derart offensichtlich eindeutig, wie die Antworten auf diesen Diskurs scheinen mögen, sind sie nicht. Natürlich muss eine heutige Lesart von Lulu die Geschichte auf diese oder jene Weise transformieren, womöglich auch brechen oder zumindest mit den Subtexten derart agieren, dass eine reflexive Dialektik kenntlich wird.

Nun das Team um Bernadette Sonnenbichler – Simeon Meier schuf ein Bühnenbild, das an einen weißen pseudo-künstlerischen Performanceraum in einer zeitgenössischen Galerie erinnert – hat sich zu radikalen Transformationen entschieden. Schneidet viel und mit Herzblut herum und integriert aktuelle aus feministischer Ecke stammende Texte in ein trotz viel Bewegung statisches Konstrukt. Die Idee: Aus der primären Keimzelle einer Performance bei dem Maler Eduard Schwarz (Florian Steffens), erwächst das gesamte Schauspiel als eine Art sich immer mehr um sich selbst kreisende Aneinanderreihung von performativen Akten. Übrigens (nur als Beispiel) das Beschmieren von Körpern mit Farben, um sie als „lebendige Pinsel zu verwenden“ erinnert in erster Linie nicht an eine feministische Künstlerin, sondern an Yves Klein.

Im Fokuspunkt stets Lulu, verkörpert durch die über eine beachtlich bestaunenswerte Kondition verfügende Lieke Hoppe. Eigentlich gänzlich autonom, selbstbestimmt. Daran lässt man schon zu Anfang keinen Zweifel, wo die hervorragend die Wünsche des Regie-Teams umsetzende Schauspielerin, in dem noch leeren Raum, vor dem eigentlichen Beginn der Szenerie, umhergeht und offensiv herausfordernd und selbstbewusst die Erwartungen des Publikums an die wohl bald beginnende Performance einer Performance-Künstlerin steigern will. In der später zahllose Zitate aus der bildenden/performance Kunst ihren Raum finden werden. In der Nacktheit, Farbspiele, wie man sie in den 60ern liebte, diverse Kostümspielereien aus der Asservatenkammer der neueren Kunstgeschichte (Kostüm: Tanja Kramberger), sexuelle Andeutungen, die aber niemals sinnlich sein wollen, und wilde pseudo-performative Akrobatik aufgefahren werden. Untermalt mit live gespielter ambienten Musik von Jacob Suske.

Am Anfang zieht sich Hoppe, aus der Szene tretend, vor dem Publikum aus. Ganz nackt – ein autonomer Akt – da wahrhaftig scheinend. Nur wenig darf, und ist folglich in dieser Inszenierung wahrhaftig. Vielleicht der Knall einer Pistole. Oder ein Schatten von Purcells Arie „What power art thou?“ gesungen von dem auch akrobatisch brillierendem Claudius Körber, der hier eine Frau, die Gräfin Geschewitz, spielt. Doch diese Arie des Frostgeistes, dessen erstarrtem Stöhnen alsbald wieder Destruktion droht, kann auch nur kurzzeitig „verzaubern“. Denn darum geht es hier nicht. Somit ist die Frostarie fast wie ein taugliches Motto für das entseelte „Als-ob“. Denn wir müssen fragen, ob es denn zum Diskurs des Schauspielhauses passt, wenn Männer – die auch bisweilen nackt sein müssen und Witzchen über ihren Penis machen sollen – und eine sich verausgabende Frau zu Stereotypen aufgezogen werden. Stereotypen, die nicht minder stereotyp das Pädagogisieren eines eigentlich kunstfremden Diskurses in eine „als-ob“ Kunstperformance hineingießen.

Besonders Lieke Hoppes Darbietung überzeugt

Lieke Hoppes Schauspielkunst ist indes über jeden Zweifel erhaben. Sie wird die Geschichte von Prometheus und Pandora erzählen. Erster brachte den Menschen das Feuer, Letztere ist das „schöne Übel“, die Frau, die als „wunderschöne“ Strafe zu den Menschen geschickt wird versehen mit einer Büchse, die alles Übel enthält – und die Hoffnung. Am Ende mit umgedrehten Vorzeichen, in denen Pandora ein Mann und Prometheus eine Frau ist.

Die Begeisterung des Publikums insbesondere für Hoppe und die durchaus auch in sich schlüssige Konzeption ist nachvollziehbar. Doch schlussendlich lebt dieser Abend von allen Schauspielern: Wolfgang Michalek, Joscha Baltha, Andreas Grothgar, Henning Flüsloh, Miguel Abrantes Ostrowski und Markus Danzeisen.

Von der Hoffnung in der Büchse bleibt indes nicht viel. Außer dem großen Befreiungsakt Lulus – der sie aber nicht menschlicher macht. Entmenschlichung funktioniert nur „als-ob“, auch im postpatriarchalem Diversitätsdiskurs.

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