Schicksalhafte Bilder jüdischer Kinder

Das Stadtmuseum bereitet eine Ausstellung mit Zeichnungen aus der Nazizeit vor — die Sammlung gilt als weltweit einzigartig.

Düsseldorf. Simha Arom erlebt eine Woche dichtgedrängter Termine und Würdigungen in Düsseldorf. Sogar ein Konzert in der Tonhalle widmet man dem Professor der Pariser Sorbonne Universität. Jede einzelne dieser Begegnungen ist randvoll mit dem Bedürfnis der Gastgeber, Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen und einen bescheidenen Versuch der Wiedergutmachung zu unternehmen. Simha Arom fühlt sich geehrt. Was den alten Mann, der seine Kindheit und Jugend in Düsseldorf verbrachte, jedoch damals im Oktober 2009 wirklich rührt, ist eine bunte Zeichnung. Drei Kinder, die sich als Cowboy und Indianer verkleidet haben, sind darauf abgebildet. Sie feiern Karneval in Düsseldorf. Simha Aroms Bruder Eduard hat das Bild um 1936/1937 gemalt.

Es ist die einzige Erinnerung an seine Familie, die Simha Arom in Händen halten kann. Die Eltern wurden in Auschwitz ermordet, die Brüder flohen nach Frankreich. Wie so viele andere jüdische Familien verlassen die Aroms den Ort, der ihnen einmal Heimat war.

Die Zeichnung von Eduard Arom ist eine von insgesamt 2000 Arbeiten jüdischer Kinder, die im nächsten Jahr von Februar bis Mai im Stadtmuseum gezeigt werden. Das Museum bereitet die Schau zurzeit gemeinsam mit der Mahn- und Gedenkstätte sowie dem Landschaftsverband vor.

Die Zeichnungen sind in den Jahren 1936 bis 1941 entstanden. Zwei Drittel stammen aus Düsseldorf, einige auch aus Berlin. Alle Bilder gehen auf die Initiative des Malers Julo Levin zurück, der die Schüler damals unterrichtete. Er hatte an der Kunstakademie studiert und gehörte zum Kreis um Mutter Ey. 1933 jedoch, nach der Machtübernahme der Nazis, erhielt er Mal- und Ausstellungsverbot und lehrte fortan in der jüdischen Schule an der Kasernenstraße. 1943 wurde Levin ermordet.

„Es ist einer unserer wertvollsten Bestände“, sagt Bernd Kreuter, Historiker im Stadtmuseum. „Die Qualität der Zeichnungen ist ganz außerordentlich.“ Sie spiegeln den unpolitischen Alltag der Kinder mit St. Martinsumzug in der Altstadt, Radschlagen und Karneval wider und sie dokumentieren Szenen aus ihrem religiösen Leben, geben Sehnsüchte und Träume preis.

Jedoch manifestiert sich an manchem Detail auch die Last ihres Schicksals. Ein Schüler zeichnete Frauen auf der Straße, die ihre Köpfe zusammenstecken. Sie sind Teil einer diskriminierenden Flüstergesellschaft, die den Kindern das Unerwünschtsein der Juden fortan täglich vor Augen führt. Andere Bilder zeigen einen SS-Mann und Menschen, die am Galgen hängen.

„Levin hat die Kinder zu Höchstleistungen animiert. Sie haben Zeichnungen erschaffen, aus denen sich Zeitgeschichte herauslösen lässt“, sagt Bastian Fleermann, Mitarbeiter der der Mahn- und Gedenkstätte. „In der Schule traf sich eine Notgemeinschaft: die Kinder, die ja zuvor die städtischen Schulen besucht hatten, und Künstler, die als solche nicht mehr arbeiten durften.“

Von den 2000 Zeichnungen konnten bislang 250 ihrem Urheber zugeordnet werden. Knappe Angaben, die jedoch Fleermann dazu verhelfen, Menschen wie Simha Arom glücklich zu machen. „Wir gleichen unsere Daten mit denen der Zeichnungen ab und informieren die Familien.“ Erst in der vergangenen Woche erreichte ihn eine Dankesmail aus den USA. „Das sind die bewegendsten Momente meiner Arbeit“, sagt Fleermann.

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