Schauspielerin Sesede Terziyan: „Immer Migrantin — klar nervt das“

Sesede Terziyan wurde durch den Tatort bekannt. Jetzt spielt sie in einer Düsseldorf-Premiere.

Düsseldorf. Als das Signalwort Thilo Sarrazin fällt, kann sich Sesede Terziyan nicht mehr auf ihrem Platz halten. Sie steht auf und macht den beiden Herren um die 60 klar, was sie von Sätzen wie „Noch ist das Deutschland, aber wer weiß wie lange“ hält, wohin eine solche Haltung führen kann und wohin nicht. An der Heinrich-Heine-Allee endet ihre Standpauke. Hier steigt die 30-Jährige aus, denn gleich beginnen im Schauspielhaus die Proben mit Regisseur Nurkan Erpulat. Am Freitag hat die Produktion „Herr Kolpert“ Premiere, mit Sesede Terziyan in einer Hauptrolle.

In der Straßenbahn lässt die Schauspielerin zwei ziemlich verblüffte Männer zurück, die vermutlich keinen Schimmer haben, mit wem sie da gerade das Vergnügen hatten. Dabei ist es sehr wahrscheinlich, dass auch sie unter den 7,4 Millionen Zuschauern waren, die 2008 die Tatortfolge „Schatten der Angst“ gesehen haben. Terziyan spielt darin eine junge Türkin, die versucht, dem Druck ihrer Familie zu entfliehen. Ein brisantes Thema, dessen TV-Bearbeitung damals kritisch diskutiert wurde.

Die Migrantin gibt Terziyan öfter, als ihr lieb ist: „Klar nervt das.“ Vor allem Fernsehproduktionen stecken die junge Frau gern ins muslimisch geprägte Umfeld. Dabei hat sie im wahren Leben einen deutschen Pass, einen Abschluss an der Berliner Ernst-Busch-Schauspielschule, und sie stammt von den christlichen Armeniern ab.

In der neuen Produktion des Schauspielhauses steht sie als Edith auf der Bühne, eine Spießerin, die in einem Mordfall bereitwillig zur Komplizin wird, weil die ganze Sache das eigene dröge Leben aufputscht. „Ich habe mich sehr gefreut, als Nurkan mich angerufen hat und mir die Rolle anbot“, sagt Terzyian.

Gern trete sie in diese groteske Gesellschaft ein, die Autor David Gieselmann gezeichnet hat. Weit und breit keine Familientragödie, kein islamistisches Terrorszenario — eine schöne Herausforderung, fand Terziyan. „Und dann sagt mir Nurkan, dass es doch einen Bezug zur aktuellen Migrantendebatte in meiner Rolle gibt. Da hab’ ich gesagt: Ach nö, Nurkan, nö.“

Ganz ernst gemeint war ihre Reaktion nicht. Zumal Terziyan es als die originäre Aufgabe von Künstlern ansieht, kritische Blicke auf Klischees zu richten, um sie dann „zu zerstückeln“. Dramaturgisch liege ihr die Zuspitzung so gewichtiger Themen wie Migration und Integration eher als die gefühlvolle Variante. „Das kommt meinem persönlichen Blick auf die Dinge näher. Wenn man in einer Schizophrenie aufwächst und nicht weiß, wohin man gehört, wird man zynisch.“

Terziyans Familie hat diese Schizophrenie erleben müssen. Ihre Eltern kamen 1980 als politische Flüchtlinge nach Deutschland. Als armenischstämmige Bewohner Anatoliens waren sie dort Repressionen ausgesetzt. Acht Jahre warteten sie in Deutschland auf eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis. Ertrugen alle Widrigkeiten, um endlich irgendwo anzukommen.

Die Biografie der Eltern hat das Bedürfnis der Tochter nach Selbstbestimmung enorm geprägt. Das war auch ein Grund, weswegen sie ein festes Engagement am Theater Göttingen 2008 nach zwei Jahren aufgab. „Ich hatte den Drang weiterzuziehen. Für mich ist es der Tod, wenn ich den Eindruck habe, es geht nicht mehr weiter.“

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