Premiere: Kästners "Pünktchen und Anton"

Klassiker begeistert in Düsseldorf durch hohes Tempo und anrührende Songs.

Düsseldorf. Dieser Zeigefinger ist lang. Er streckt sich weit über die anderen vier Finger hinweg, weist stets in die richtige Richtung und - er ist aus Plastik. Das sieht jedes Kind. Sein Besitzer, der Herr Zeigefinger (Philipp Grimm), lässt keinen Zweifel daran, dass es mit der Moral eine ernste Sache ist. "Liebe Freunde des Theaters", begrüßt er das Publikum förmlich.

Er führt kleine und große Zuschauer des Düsseldorfer Theaters durch die Geschichte von "Pünktchen und Anton", rügt die beiden, wenn sie ungehörig sind - und stopft sich selber dabei liebend gern Kekse, Windbeutel oder ein Flutschfinger-Wassereis in den Mund. Sein glitzerndes Showbühnen-Outfit hilft auch dem letzten auf die Sprünge: So bierernst ist das alles nicht, hier geht es um flotte Unterhaltung und nicht um angestaubte Erziehungsansichten.

Franziska Steiof hat sich Kästners Klassiker "Pünktchen und Anton" vorgenommen und ihn für das Düsseldorfer Schauspielhaus als herrliches Familienstück auf die Bühne gebracht. "Alles ist möglich", singt das gut aufgelegte Ensemble, und das gilt nicht nur für Pünktchen (Insa Jebens) und Anton (Marian Kindermann).

Die weltweit bekannte Geschichte von dem Mädchen, dessen reiche Eltern sich nicht um das Kind kümmern, und dem armen Jungen, der für seine kranke Mutter kocht, tagsüber zur Schule geht und nachts auf der Straße Schnürsenkel und Druckknöpfe verkauft, ist eigentlich schnell erzählt.

Doch wie bei Kästner kommt es in dieser Inszenierung auf die Zwischentöne an: Pünktchen freut sich heimlich, wenn sie für ihren Freund bei dessen Lehrer um Verständnis für Antons Müdigkeit bittet und so einen bösen Brief an die Mutter verhindert. Keine Spur von Angeberei.

Der Vater (René Schubert) dankt dem Hausmädchen Berta (Barbara Wurster) für den Einsatz gegen den Verbrecher zuerst mit einer Umarmung und dann mit einem Geldschein. Die Reihenfolge ist entscheidend: Das ist Anstand.

Pünktchen, die Insa Jebens charmant jungenhaft und immer in Bewegung spielt, besingt in einer anrührenden Ballade, was sie sich von den Eltern wünscht: ein bisschen Zeit. Dieses Duett mit dem stimmstarken Marian Kindermann als Anton ist alles andere als ein Zwischenspiel und hat die große Bühne des Central tatsächlich verdient.

Thomas Zaufke hat die Songs von Tango bis Schnulze für das Stück geschrieben und sorgt mit den musikalischen Einlagen für Tempo. Begleitet von Klavier, Schlagzeug und Bass biegt das Kindermädchen Fräulein Andacht (Natalia Belitski) ihre langen Glieder grotesk wie Gummi. Die dicke Köchin Berta schwingt eine Schinkenkeule virtuos zum dramatischen Verbrecherjagd-Sound, um den Gauner Robert (Till Frühwald) zur Strecke zu bringen.

So wechseln sich gespielte, gesungene und sogar geträumte Szenen ab. Schön schräg gelingt Pünktchens Alptraum, in dem der Vater verkehrtherum Roller fährt, die Mutter (Meike Fuhrmeister) Papierhütchen falten muss und das Mädchen seine Kinderfrau mal ordentlich anpfeifen kann.

Ebenso wie durch die schillernde Figur des Herrn Zeigefinger schafft die Regisseurin damit eine Leichtigkeit, die den Zeitenwandel zwischen dem 1931 erschienenen Original und der Gegenwart gelungen überbrückt. Dem starken Text Kästners ist Steiof weitestgehend treu geblieben. Und das ist gut so.

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