Düsseldorf „Vissi d’arte“ feiert Premiere

Am Freitag feiert die Collage „Vissi d’arte“ in der Oper am Rhein Premiere. Regisseur Johannes Erath bat zuvor um Kuss-Selfies.

 Blick auf das fantasievolle Bühnenbild für „Vissi d’arte“. Es wird dabei einen szenisch-musikalischen Abend geben.

Blick auf das fantasievolle Bühnenbild für „Vissi d’arte“. Es wird dabei einen szenisch-musikalischen Abend geben.

Foto: Monika Rittershaus

Aus der Not geboren erwuchs „Vissi d’arte“, eine Liebeserklärung an die Oper. „Das wird eine emotionale Achterbahn“, verspricht Regisseur Johannes Erath vor der Premiere am Freitag. Ursprünglich sollte er „La Sonnambula“ inszenieren. Undenkbar in Corona-Zeiten, allein wegen des Chors. Bereits im März, als die Stille in die Theater einzog, hatte sich Erath gefragt: „Was heißt das, wenn wir nicht mehr dürfen? Wenn die Orte, an denen Gefühle erzeugt und empfunden werden, verwaist sind?“ Seit Jahrtausenden habe der Mensch Lust auf Treffen in Gruppen – ob in Stadion, Kirche oder Theater. „Wenn das alles nicht mehr möglich ist, staut sich innerlich etwas an“, vermutet er. „Für mich ist die Bühne eine Art heiliger Ort. In einer gewissen Anonymität zusammenzukommen, sich auf etwas zu konzentrieren und an etwas zu glauben – dieses Bedürfnis wohnt uns inne. Auch wenn der Glaube im Theater eine Illusion ist.“

Mit dieser Überzeugung dachte Erath über eine neue Form von Kulturerlebnissen nach. „Egal, wie die Situation ist, wir dürfen nicht einfach abwarten“, sagt er: „Wir müssen handeln. Das ist unsere Pflicht.“ Der Drang, sich nach draußen zu wagen und auf dünnes Eis zu begeben, inspirierte ihn zu dem szenisch-musikalischen Abend „Vissi d’arte“. Seine Collage mit Werken von Puccini, Verdi, Wagner, Strauss, Offenbach und Gershwin bezeichnet Erath als „Spurensuche in den Falten des geschlossenen Vorhangs, nach dem, was noch da ist. Alle Emotionen der vergangenen sieben Monate kommen durch die Hintertür wieder rein.“

 Johannes Erath ist der Regisseur des Stücks.

Johannes Erath ist der Regisseur des Stücks.

Foto: Monika Rittershaus

Titelgebend war die Arie aus „Tosca“, auf Deutsch: „Ich lebte für die Kunst.“ Der zweite Teil, „Vissi d’amore“, ist der Liebe gewidmet. Erath kam die Idee, zur Einsendung von Kuss-Fotos und Kuss-Videos zu ermuntern, keusch, innig oder leidenschaftlich. Wo Küsse in Liebesarien auf der Bühne verpönt seien, bräuchten die Sänger Unterstützung, sagt er mit einem Augenzwinkern. Die Resonanz auf die Aktion „A Kiss for the Opera“ war groß, in wenigen Tagen kamen 120 Einsendungen zusammen. Wie sie in die Aufführung integriert werden, bleibt eine Überraschung.

Zuerst sinken die Geigen in
einem A-Dur-Akkord herab

Überhaupt möchte Erath vorher nicht viel verraten. „Wir erfinden etwas, was wir noch nie gemacht haben“, sagt er nur. Wenigstens ein weiteres Beispiel noch zur Musik? Er windet sich mit einem Seufzer. „Das ist schwer.“ Dann springt er doch über seinen Schatten. Er habe immer vorgehabt, mit dem „Lohengrin“-Vorspiel zu beginnen. Dort singt Elsa „Einsam in trüben Tagen“ und wartet auf ein Wunder: „Das kommt dann in Gestalt von Lohengrin“, erzählt der Regisseur. „Zuerst sinken die Geigen in einem strahlenden A-Dur-Akkord aus höchster Höhe herab. Genau die richtige Emotion für den Anfang.“ Als man ihm berichtete, „Lohengrin“ sei in der Rheinoper die letzte Vorstellung vor dem Lockdown gewesen, beflügelte ihn das noch stärker: „Wir beginnen da, wo das Ende war. Die Extreme berühren sich. Das finde ich magisch.“

Seinen ersten magischen Moment in der Oper erlebte er bei der legendären „Zauberflöte“, die den Aufschwung der Bregenzer Festspiele einleitete: „Ich kam vom Land, kannte nicht viel vom Theater. Das Wetter war miserabel, es blitzte, donnerte und regnete. Großes Kino. Nicht bloß Theaterdonner, die Natur spielte mit.“ Damals wollte er noch Musiker werden. Beim Violin-Studium in Wien sog er so viele Aufführungen auf, wie er konnte. Erath spielte im Orchester der Volksoper Wien und der Orchesterakademie der Wiener Philharmoniker.

Erath hospitierte in Paris und assistierte in ganz Europa

„Bis mir klar wurde, dass es mir zu wenig ist, meine Energie allein auf die Fingerkuppen zu konzentrieren. Als wäre es das falsche Medium. Ich wollte herausfinden, wie es anders ging“, sagt der heutige Regisseur. Nach außen hin verlief der Wechsel ins Regiefach glatt, tatsächlich sei der Konflikt ein längerer gewesen. Doch plötzlich schien alles zu explodieren: Hospitanz in Paris, Assistenzen bei bedeutenden Regisseuren in ganz Europa. Heute entfaltet er seine farbige Bühnenpoesie an großen deutschen Opernhäusern. Trotz aller Erfolge plagen ihn auch Zweifel. „Das gehört zu unserem Metier. Am meisten liegt mir am Herzen, dass wir vergessen haben zu staunen. Wenn es uns wieder gelingt, Kleinigkeiten und Feinheiten als etwas Besonderes wahrzunehmen, kann das sehr heilsam sein. Denn nichts ist selbstverständlich auf diesem Planeten.“

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