Tanz und Performance Neue Factory-Artists am Tanzhaus NRW

Düsseldorf · Das Team um Intendantin Bettina Masuch hat drei ganz unterschiedliche Residenzkünstler an das Haus geholt, die bis 2022 an der Erkrather Straße wirken werden. Wir stellen Reut Shemesh, das Kollektiv Nutrospektif sowie Alfredo Zinola vor, erklären was sie und ihre Arbeit so besonders macht.

 Eine von den drei neuen Factory-Artists: Reut Shemeshs „Atara“, koproduziert durch das Tanzhaus NRW wurde unter anderem zur Tanzplattform Deutschland eingeladen.

Eine von den drei neuen Factory-Artists: Reut Shemeshs „Atara“, koproduziert durch das Tanzhaus NRW wurde unter anderem zur Tanzplattform Deutschland eingeladen.

Foto: Öncü Gültekin

Reut Shemesh – zwischen Recherche und Poesie

Man kann das Tanzhaus NRW nur beglückwünschen, die Kölner Choreografin und Performerin Reut Shemesh als Factory-Artist an das Haus geholt zu haben. Natürlich spricht für Shemesh, dass sie 2019 von der Zeitschrift „Tanz“ als Hoffnungsträgerin tituliert wurde, eingeladen ist mit ihrer grandiosen Arbeit „Atara“ – das übrigens vom Tanzhaus selbst koproduziert wurde – bei der biennalen „Tanzplattform Deutschland 2020“ teilzunehmen und dass sie vom Land NRW eine Konzeptionsförderung in Höhe von 105 000 Euro erhält.

Doch um zu spüren, welche kreative Energie in der in Israel geborenen und aufgewachsenen Künstlerin steckt, muss man ihre Arbeiten selbst erlebt haben. In denen vermischen sich Bewegungskunst, im eigentlichen Sinne Tanz, mit poetischem Ausdruck und auch experimentellen filmischen Produkten, um ihre Recherchen rund um Rollenbilder, um Identität als innere wie äußere Projektionsfläche für das Publikum spürbar zu machen. Etwa in „Atara“, einem hoch konzentrierten Kabinettstück, das sich um die Lebenswirklichkeit von orthodoxen jüdischen Frauen dreht. Eine berührend minimalistische Choreografie, die aber zeitgleich schafft, starke Emotionen aus dem Innern heraus durch Bewegungen, aber auch Sprache, für das Publikum spürbar zu machen.

In „Witness“ wiederum widmet sich die forschende Tanz-Poetin der besonderen Welt der „Tanzmariechen“. Gemeinsam mit den jungen Frauen in Uniform der Tanzgarde der katholischen Karnevalsjugend Düsseldorf entsteht eine diskursive Reflexion über Frauenbilder und Strukturen, die sich nur hinter der Oberfläche heraussschälen lassen. Shemesh Arbeit ist auch immer in gewisser Weise tiefenpsychologisch.

Reut Shemesh studierte Tanz und Choreografie am Institute of the Arts Arnheim und an der Kunsthochschule Köln – doch wie viele ihrer heutigen Kollegen und Kolleginnen transzendiert ihre Arbeit die konventionellen Grenzen zwischen Tanz und Performance. In ihrem Fall darf man auf noch eine sehr reizvolle Entwicklung hoffen.

Ihre nächste Arbeit am Tanzhaus NRW (Erkrather Straße) wird „Cobra Blodn“, gleichfalls in Kooperation mit Tänzerinnen der Tanzgarde der Karnevalsfreunde der katholischen Jugend Düsseldorf, am 26. und 27. September.

Alfredo Zinola – Avantgarde für Kinder

Alfredo Zinola hat sich zur Aufgabe gemacht, zeitgenössischen Tanz für ein junges Publikum auch auf partizipative Weise erfahrbar zu machen. Der in Köln und München lebende italienische Choreograf und Performer beschreibt die Ziele seiner Arbeit wie folgt: „Mein Interesse gilt der Produktion von zeitgenössischen Tanzstücken für Kinder. Inspirieren lasse ich mich dabei vom Verhältnis der Gesellschaft zur Welt der Kinder. Ich versuche, ein konsequentes und kompromissloses Erlebnis zwischen Publikum und Performer zu schaffen.“

Wie gut das zum Tanzhaus NRW passt, liegt auf der Hand – denn am Haus an der Erkrather Straße findet emphatisch immer wieder auch die Einbeziehung junger Menschen in künstlerische Prozesse statt. Und dies eben nicht nur mit einem wie auch immer gearteten pädagogischen Zeigefinder. Zinola arbeitet häufig mit anderen Künstler zusammen – dies ist auch eine vielversprechende Perspektive. Etwa mit Felipe Gonzàlez (“Primo“) schuf er eine Unterwasser-Tanzperformance, mit Maxwell McCarthy wiederum eine Performance, die sich dem Thema Dunkelheit widmete (“Nero“). In „Party“ hinterfragte er Interaktionen zwischen Tänzern und dem Publikum im Rahmen einer Party. Seine Arbeit „Pelle“ aus 2019 war ebenfalls partizipativ, also mit Einbeziehung des Publikums, die sich dem Körper, Körperbildern und dem Thema Nähe verschrieben hatte.

Wie Shemesh war auch er schon „Hoffnungsträger“ des Magazins „Tanz“ (2016) und erhält eine Basis-Förderung der Stadt München und nimmt als Student am Lehrgang „Kuratieren in den Szenischen Künsten“ der Uni Salzburg teil. Alfredo Zinola schloss unter anderem eine Tanzausbildung an der Folkwang Universität der Künste ab und graduierte in interkultureller Kommunikation in Turin. Er wuchs mit großer Nähe zum Theater auf und fand durch den italienischen Choreografen Raffaella Giordano zum Tanz.

Im Juni 2020 wird er ein „Klassenzimmerstück“ in Kooperation mit der Christophorus Grundschule in Düsseldorf Wersten gestalten, das den Titel „Other world“ trägt. Erwartbar sind weitere Produktionen von ihm, bei denen junge Menschen auch in den Schaffensprozess einbezogen werden.

Kollektiv Nutrospektif – Perspektiven von urbanem Tanz

Urbaner Tanz – worunter etwa Stilrichtungen wie Hip-Hop subsumiert werden – hat in Düsseldorf eine lebendige Heimat am Tanzhaus. Ob performativ oder in Workshops und Projekten. Daher erscheint es nur sinnig, dass unter den neuen Factory-Artists auch ein Kollektiv zu finden ist, das sich explizit dieser Sphäre des Tanzes verschrieben hat. 2012 gründete sich Nutrospektif, um – wie das Tanzhaus beschreibt –, sich der Erforschung von Bewegungsprinzipien sowie der kulturellen Praxis urbaner Tanzkulturen, darunter HipHop, Breaking, Popping, Locking oder Waacking, zu widmen und diese in einen zeitgenössischen, performativen und theatralen Kontext zu transferieren.

Bestehend aus Frieda „Bgirl Frost“ Frost, Bahar Gökten, Daniela „Dany“ Mba, Yeliz Pazar, Katja Denneng und Daniela Rodriguez Romero ist Nutrospektif vor allem auch am Dialog interessiert. So entstehen neben Bühnenstücken, wie „Columba Livia“ oder „Cry Sis“ auch Improvisationsformate wie unter anderem „Moment(urb)an“ oder „Corespontanz“ und auch explizit genreübergreifende Projekte.

Das Kollektiv arbeitete mit zahlreichen Kultur- und Bildungsinstitutionen zusammen, worunter auch Häuser wie das Schauspielhaus Köln oder auch das Institut für Tanz und Bewegungskultur der Deutschen Sporthochschule Köln zu finden sind. Nutrospektif kooperiert eng mit dem Michael-Douglas Kollektiv Köln, dem Zentrum für Austausch und Innovation ZAIK Köln oder dem Tanztreffen der Jugend der Berliner Festspiele.

Mit dem urbanen Tanztheaterfestival „Street Perspektif – Raum für urbane Tanzkunst“ konzipierten Nutrospektif 2017 eine Plattform für innovative Performances, Workshops und internationalen Austausch. Für Düsseldorf dürften wir erwarten, dass sie am Tanzhaus auf diesem Pfad weiterschreiten werden – vermutlich auch in Zusammenarbeit mit den vor Ort schon wirkenden urbanen Künstlern?

Am 7. März, 19.30 bis 20.45 Uhr, am Tanzhaus NRW (Erkrather Straße) kann man sie schonmal mit „Moment(urb)an“ erleben. Hierbei handelt es sich um einen improvisatorischen Dialog, bei dem die urbanen Tänzerinnen unterschiedliche „Aufgaben“ aus verschiedenen Zusammenhängen meistern. 75 Minuten mit dem Spiel um Unvorhersehbarkeit und ein reaktives Tun im Moment.

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