„Nachtcentrale“: Nach der Vorstellung wird es experimentell

Freitags gibt es im Schauspielhaus ein Programm für den zweiten Teil des Abends.

„Nachtcentrale“: Nach der Vorstellung wird es experimentell
Foto: Ralf Puder

Es gibt ganz wenig, was in der „Nachtcentrale“ nicht möglich ist. Wenn das Schauspielhaus für den späteren Freitagabend auf die Brücke seiner aktuellen Spielstätte an der Worringer Straße lädt, dann ist das Spektrum, dessen, was kommen kann, weit: Poesie, Performance, Prosa, Party. „Eine Veranstaltungsreihe für alles, was man nur nachts raushauen kann“, nennt das Schauspielhaus die „Nachtcentrale“ und kündigt an, dass es dreckig und erhaben, albern und politisch, gestümpert und brillant werden kann. Beginn ist nach Vorstellungsende, nicht immer gibt es einen Bezug zur Inszenierung des Abends. Der Eintritt ist frei.

Der heutige Abend ist Hunter S. Thompson gewidmet, die Besucher werden an den Erfinder des Gonzo-Journalismus und Autor von „Fear and Loathing in Las Vegas“ erinnert. Am 18. Mai stehen Sarah Kane und Nina Simone im Mittelpunkt, zwei Frauen zwischen Himmel und Hölle, Schwarz und Weiß, Depression und Manie.

Was in der „Nachtcentrale“ alles passieren kann, zeigte beispielhaft der jüngste Abend, der unter dem Motto „David Bowie Meet & Greet“ stand: Ein Typ mit feuerrotem Haar und Stöckeln lässt sich von einem Soldaten huckepack nehmen. Triumphierend singt der Androgyne in hautengem Dress „You will be me“, als er dem Stahlbehelmten an die Wäsche geht — einer der Höhepunkte des musikalisch-poetischen Abends rund um die Lichtgestalt Bowie, bei dem die Brücke des Central sehr sehr gut besucht war.

Die Zuschauer haben höllischen Spaß, als der nacktbrüstige „Reiter“, mit Engelsflügeln vor der Front, genüsslich die Uniformjacke des Soldaten aufknöpft und lasziv dessen Kopfbedeckung streichelt. Auch als das Reitergespann, „We can be heroes“ singend durch die Zuschauerreihen galoppiert. Und dann ist da dieser buddhistische Mönch, der plötzlich zwischen den Zuschauern auftaucht. Alsbald folgt ein lautmalerischer Akt mit einem fernöstlich-mystischen Klang-Feuerwerk.

Ein bemerkenswertes Late-Night-Event, bei dem es auch noch intelligente Poesie, Prosa, Interview-Spielszenen, und viel Witziges und zahlreiche versteckte Verweise gab. Womöglich wussten einige Zuschauer nicht, dass David Bowie ein großer Tibetfan war oder am Broadway Baal von Berthold Brecht gespielt hat, was deshalb auch in Auszügen dargeboten wird.

„Wir wollten das Publikum einladen, den Künstler aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Und dass Bowie Baal am Broadway gespielt hat, war für uns ein gefundenes Fressen“, erzählt Fabian Rosonsky, Ideengeber des Formats „Meet & Greet“. Noch mehr Spannendes habe sich beim Graben in Bowies Biographie. „Es geht um Assoziationsräume. Ich wollte keine didaktische Erklärung zu David Bowie liefern, sondern ein unterhaltsames Format mit viel Musik und Texten.“ Kilian Ponert, Ensemblemitglied des Jungen Schauspiel, brilliert in der Rolle des von Bowies Alter Ego Ziggy Stardurst.

Aber auch die anderen Akteure haben jede Menge Spaß bei dieser Würdigung des Schöpfers von „Lazarus“, das derzeit am Schauspielhaus gespielt wird. Sie schlüpfen mit großer Spielfreude in Figuren wie etwa die des Astronauten Major Tom. Rosonsky: „Das ist ein freiwilliges Format — ein kleiner, zusätzlicher Wahnsinn. Es ging darum, einen Bogen zu spannen: Was ergeben sich für Fragen? Wenn nur drei Leute damit nach Hause gehen, bin ich zufrieden.“ Auch eine Portion Improvisation war dabei. „Eigentlich sollte Lou Strenger, die Clara im Sandmann gibt, singen, aber das hat leider zeitlich nicht hingehauen“, so Rosonsky. Macht aber nichts, der Abend war mehr als gelungen. „Man wurde gut unterhalten und hat gemerkt, dass die alle Spaß hatten“, lobt eine Zuschauerin.

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