Asphalt-Festival „Post von drüben“: Der Stuhlkreis nach der Wende

Düsseldorf · Die Mitmach-Inszenierung setzte sich beim Asphalt-Festival mit dem Verhältnis von Ost und West auseinander.

 „Post von drüben“: Die Vorstellung fand in der Christuskirche statt.

„Post von drüben“: Die Vorstellung fand in der Christuskirche statt.

Foto: Peter Stumpf

Düsseldorfer erhalten derzeit „Post von drüben“. Zusammengepackt und gesammelt von Menschen in Weimar. Deutschlandfahnen, Fotos der Highlights der Goethe- und Schillerstadt, ein Ginkgo-Bäumchen, das Buch „Generation Mauer“ von Ines Geipel, eine Farb-Lithografie aus dem Bauhaus, die Fotokopie eines süffisanten, die DDR-Wirtschaft verhöhnenden Artikels von 1988: Aus dem Berliner Stadtmagazin Zitty, über die erste deutsch-deutsche Modenschau in Weimar. Daneben zahlreiche Briefe von Weimarer Frauen und Männern etc. Eingepackt in Kartons, gesteckt in eine große Holztruhe. Sie thront im Raum vor dem Altar der Christuskirche Kruppstraße 11.

Sie steht vor einem Stuhlkreis und ist Mittelpunkt der Mitmach-Performance „Post aus drüben“: organisiert und inszeniert von der Theatergruppe „Futur 3“. Zu sehen beim Asphalt-Festival und später beim Kunstfest Weimar. André Erlen, Stefan H. Kraft und Klaus Maria Zehe wollten wissen, was 30 Jahre nach dem Mauerfall die „Besser-Wessis“ und „Jammer-Ossis“ so übereinander denken. So bekommen wir im Gotteshaus in spröder Beton-Architektur der Nachkriegszeit Post aus der Klassikerstadt. Düsseldorfer indes schicken im Herbst ihre Post nach drüben: Sie wird im September, in einer ähnlichen Aktion, beim Kunstfest der thüringischen Uni-Stadt geöffnet.

Der Clou ist die Machart. „Partizipativ“, wie die Performance heißt. Macht nicht gerade neugierig, klingt eher nach abgehobenem Theater-Fachchinesisch. Und doch beschert sie den Teilnehmern eine lebendige, unverhofft aktive und zum Nachdenken anregende Entdeckungsreise. Im Stuhlkreis sitzend erwartet man den Start. Es geht erst los, wenn ein Zuschauer den alten CD-Rekorder betätigt, der neben der Truhe steht. Eine kurze Einweisung in das Performance-Spiel erklingt, alle können mitmachen (müssen nicht) beim Öffnen der Post. Drei Pappkameraden werden vor Mikrophone platziert. Herr U, Herr B, Frau E. Spontan sprechen einzelne Teilnehmer in die Mikros Botschaften von drüben.

Der Fußball allein erzeugte sowas wie Nationalstolz

Düsseldorf bedeutet dort Bussi-Bussi-Gesellschaft, kalte Beton-Neubauten, krasser Unterschied zwischen Arm und Reich („so viele Obdachlose wie bei euch habe ich nie gesehen“), Konfektschachtel mit harten Nüssen. Weimar habe auch Schwächen: Überall Geschichte, wenig Platz für Experimentelles, Rentner- und Beamtenstadt. Aber es gibt auch Stolz auf DDR-Produkte, wie Sandmännchen, Spülmittel etc. „Worauf seid ihr denn stolz?“, schreibt eine Frau. Schweigen. Die Staatswirtschaft DDR produzierte die Waren, in der BRD waren es Konzerne etc. Nationalstolz erzeugte im Westen eher König Fußball.

Das Erstaunliche: Man tastet sich langsam heran, bis alle mitmachen. An einem Quiz über alte DDR-Geldscheine und DDR-typische Worte, beim Kleben von Weimar-Fotos auf Boxen. Oder beim Vorlesen der Briefe. Man kommt ins Gespräch, tauscht persönliche Erinnerungen an den November 1989 aus.

Aus der Post erfährt man viel von Gefühlen und Befindlichkeiten der Menschen, die (laut Google) 419 Kilometer und viereinhalb Autostunden von der Rheinmetropole entfernt leben. Und bis heute, so Tenor zahlreicher Briefe „von drüben“, leiden. „Wir sind nicht faul, haben für den Westen mitgeblutet. Jeder hat gearbeitet.“ Und: „Hallo Düsseldorfer, wir brauchen mehr Zeit.“ Klar wird: Zwar ist seit der Wende viel Zeit verstrichen, doch viele sind frustriert, haben zu knabbern an den Folgen der „Übernahme der DDR durch die Bundesrepublik“ im Zwei-Plus-Vier-Vertrag (1990).

Aber Vorsicht: Weimarern geht es hier nicht um platte, ewig gestrige Ostalgie, sondern sie schicken uns ihre Erinnerungen, Denkanstöße und Mahnrufe – verpackt in humorvolle, liebevolle Ironie. Zum Schluss versüßt durch Tee aus Thermoskannen und Blechkuchen mit Mohn und Creme – nach altem Ost-Rezept. Köstlich! Und der begeisterte Neu-Weimarer Benno lädt einen Teilnehmer zum Sightseeing ein und schickt gleich dazu den Gutschein für ein Bahnticket. Eine neugierige Besucherin meldet sich, wählt die Mobilnummer des edlen Spenders Benno, der mit ihr am Telefon sofort einen Termin im August verabredet. Gebongt. Kein Regie-Trick, sondern der reale Gewinn eines ernst gemeinten Spiels. Das Ergebnis nach knapp 100 abwechslungsreicher Minuten: Einige wollen bald Weimar besuchen, für die meisten wird es das erste Mal sein.

18. und 21. Juli. Christus-Kirche, Kruppstraße 11. Tickets 10-16 Euro. Telefon 33 99 00 44.

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