Drei Tage Lyrik im Heine-Haus Lyrik-Fest mit Nora Gomringer im Heine-Haus in Düsseldorf

Düsseldorf · Am Wochenende Tage standen beim zehnten Poesie-Fest im Heine-Haus die Lyrik und Vortragskunst im Mittelpunkt. Das Ereignis war fest in Frauenhand.

 Nora Gomringer erzählte Christoph Buchwald, wie sie Inspiration für ihre Gedichte findet.

Nora Gomringer erzählte Christoph Buchwald, wie sie Inspiration für ihre Gedichte findet.

Foto: Heine Haus

Poesie, Lyrik – schon in diesen zwei Worten schwingt etwas Schönes mit. Es ist die große Kunst, in der Kürze eines Textes eine ganze Welt zu erschaffen. Wie das auf hohem Niveau gelingen kann, zeigten fünf Autorinnen und ein Autor beim zehnten Poesie-Fest im Heine-Haus. Drei Tage lang stand dort, im Herzen der Altstadt, wieder die Dichtung mit ihrem ganzen Facettenreichtum im Mittelpunkt.

Martina Hefter thematisierte Magersucht und Armut

Lyrik hat einen ganz eigenen Klang und Rhythmus, die ihren Reiz ausmachen. So schön die Worte der Dichter klingen mögen, so ernst kann ihr Inhalt sein. Das bewies Martina Hefter am Eröffnungsabend. Die Autorin und Tänzerin wollte nicht bloß einen Text vortragen. Sie wählte für ihren Essay die Form der Performance. „Ich arbeite derzeit an einem Theaterstück, das auf meinem Gedichtband ‚In die Wälder gehen, Holz klauen für ein Bett‘ basiert“, erklärte sie zu Beginn.

Der etwas schräge Titel hat einen Hintergrund, den die 56-jährige im anschließenden Gespräch mit Moderator Tobias Lehmkuhl verriet. Er sei eine Anspielung auf das Paradoxon, sich ein gutes Bett nicht leisten zu können und deshalb lieber Billigware aus einem schwedischen Möbelhaus zu kaufen, das dafür wiederum Unmengen Holz verschwende. In ihren Texten setzt sich die in Leipzig lebende Schriftstellerin mit Themen wie Magersucht, Ausgrenzung oder Armut auseinander.

Für den Eröffnungsabend des Poesie-Festes hatte sie den Monolog „Lynn Meyer †2019“ ausgewählt, der sich mit den Gegensätzen von Mangel und Überfluss, Hunger und Völlerei auseinandersetzte. Dabei wechselte sie zwischen Live-Vortrag und Audio-Einspielungen. Die Inspiration schöpfte sie aus eigenen Erfahrungen und dem Schicksal einer guten Bekannten, die an den Folgen ihrer Essstörung verstorben ist, wie Martina Hefter im anschließenden Gespräch mit Tobias Lehmkuhl verriet.

Die zweite Autorin am Freitagabend zeigte, wie abwechslungsreich Poesie sein kann. Nora Gomringer las aus ihrem aktuellen Gedichtband „Die Gottesanbieterin“. Die 41-jährige ist eine gefragte Sprecherin für Radio und Fernsehen. Eine gute Schule für den Vortrag von Lyrik, wie sich schnell zeigte.

Nora Gomringer hätte auch Sängerin werden können

Mit einem angenehm warmen Timbre und feinem Humor, stellte sie einen Querschnitt ihres vielschichtigen dichterischen Werkes vor. In den Zeilen schwangen Lebensweisheit und die Erfahrung einer viel Gereisten mit. Als Zugabe bewies Nora Gomringer, die ihre Karriere als Rezitatorin von klassischen Gedichten auf Hochzeiten und Jubiläen begann, mit ihren beschwingten Märchen-Interpretationen, dass sie auch Sängerin hätte werden können. Am Samstag stellten Anja Kampmann und Marion Poschmann, Trägerin des Düsseldorfer Literaturpreises 2017, ihre aktuellen Bücher vor. Die Schriftsteller/innen gaben beim Poesie-Fest auch Einblicke in ihre Arbeit. Berichteten, was sie inspiriert und wie ihre Dichtung entsteht. Anja Kampmann blätterte mit ihren Auszügen aus „Der Hund ist immer hungrig“ ein Universum auf, das sich zeitlich irgendwo zwischen den Ursprüngen der Menschheit bis in die Gegenwart verorten ließ. Was sie dabei besonders fasziniere, sei, welche Geschichten Tiere erzählen könnten, verriet sie und erklärte damit, warum sie über Hunde, Fledermäuse oder Polopferde in ihren Gedichten schreibt.

Marion Poschmanns Lyrik und Prosa wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Am Samstag reiste sie mit ihren Zuhörern in den hohen Norden. Dort in der Eiseskälte Sibiriens hat sie ihre Geschichten aus dem schmalen Prosaband „Nimbus“ angelegt. Sie erzählte von Tieren und Pflanzen, die in einem unwirtlichen Klima ums Überleben kämpfen müssen.

Zum Abschluss wurde der Poesie-Debüt-Preis verliehen

Das diesjährige Poesie-Fest war fest in Frauenhand. Der Publizist, Verleger und Übersetzer Michael Krüger plauderte am Samstagabend als einziger männlicher Vertreter seiner Zunft im Gespräch mit Tobias Lehmkuhl über seine abwechslungsreiche Arbeit im Literaturbetrieb. Der 78-jährige hat alle Seiten kennengelernt, auch die des Schriftstellers. Er hatte ebenfalls seinen neusten Gedichtband mitgebracht. Dazu wurde Krüger während des Lockdowns im letzten Jahr inspiriert, während dessen er sich ein wenig wie der einsamste Mensch vorgekommen sei, dem der Postbote nur noch die Zeitung über den Zaun geworfen habe. 2010 wurde das Poesie-Fest aus der Taufe gehoben. Das geplante große Jubiläum mit Lesungen vor Publikum musste 2020 ausfallen. Um den aktuellen Corona-Auflagen nachzukommen, hatten nur 40 Gäste die Möglichkeit, im Heine-Haus live dabei zu sein. Für alle, die keine Karte bekommen konnten, wurden die Lesungen anschließend im Internet gestreamt.

Den Abschluss des Poesie-Festes bildet traditionell die Vergabe des mit 6000 Euro dotierten Poesie-Debüt-Preises Düsseldorf. Diesmal verliehen an die Schweizerin Eva Maria Leuenberger. Als Fünfzehnjährige bekam sie bereits das Stipendium „Weiterschreiben“ ihrer Geburtsstadt Bern, das den Weg einer vielversprechenden Karriere als Lyrikerin vorzeichnete und wohl weiter geebnet wird. Ihre Laudatio übernahm bei der Matinée am Sonntagvormittag Michael Krüger.

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