Kunst Ist ein Gespräch über Psyche Kunst?

Düsseldorf · Clemens Krauss ist Künstler und Psychoanalytiker. Wir ließen uns „analysieren“ und „analysieren“ nun zurück.

 Die Sitzungen mit Clemens Krauss fanden in einem vollkommen gewöhnlichen neutralen Raum im Tanzhaus NRW statt.

Die Sitzungen mit Clemens Krauss fanden in einem vollkommen gewöhnlichen neutralen Raum im Tanzhaus NRW statt.

Foto: Tanzhaus-NRW Künstlerarchiv

Dass Psyche mit der Kunst und vice versa miteinander überaus emphatisch in enger Verbindung stehen kann, mag vielleicht ein wenig wie eine Binsenweisheit klingen. Denn unsere – übrigens weitestgehend von romantischen Ästhetikern geprägten – Vorstellungen von künstlerischer Inspiration und Produktion drehen sich nicht selten um das Bild eines seine Seele, seinen Geist, sein Innerstes in die Kunst transferierenden Künstlers, sei dieser nun bildender oder auch performativer Künstler, sei er Musiker oder Schriftsteller. Etwas ungewöhnlicher mag allerdings der Gedanke sein, dass ein Gespräch, bei dem es um die Psyche, um seelische Belange geht, auch schon an sich Kunst sein kann. Nun, ungewöhnlich ist es nicht, eine Idee, ein Konzept und deren Durchführung als Kunst zu betrachten, doch ging der in Berlin lebende österreichische Künstler Clemens Krauss in seinem jüngsten Projekt, das er auf Einladung des Kunstraums Kai10 am Tanzhaus NRW durchgeführt hat, durchaus weiter.

Psychoanalyse als künstlerischer Prozess

Krauss ließ sich vornehmlich für künstlerische Zwecke zum Psychoanalytiker ausbilden und bot in „Sitzung | Session“ Interessierten die Möglichkeit, Sitzungen bei ihm zu besuchen. Allein diese Sitzungen waren schon Teil des künstlerischen Prozesses. Schließlich plant Krauss indes aus seinen, mit einer Kamera festgehaltenen, persönlichen Eindrücken eine Videoarbeit entstehen zu lassen. Mit dem Ziel, ein kollektives Unbewusstes abzubilden. Natürlich unter Wahrung der Anonymität.

Der Dialog zwischen zwei Menschen, einem Fragenden, einem Beobachtenden und einem sich Öffnenden als künstlerischer Prozess – durchaus ein Gedanke, der sehr gut in eine Zeit passt, in der es immer schwieriger wird, die Grenzen von Kunst fassbar zu definieren, Mittel als Mittel kenntlich zu machen oder Zwecke erkennbar herauszuschälen. Kurz: Auch ein unter bestimmten Umständen stattfindendes Gespräch kann Kunst sein. Ist vielleicht im Sinne einer zunehmenden Entdinglichung von Kunst sogar eine besonders pure Form eines künstlerischen Prozesses. Vielleicht vergleichbar mit dem gemeinsamen Musizieren, ohne Publikum. Fragen könnte man: Ist etwas ohne Zuschauer, ohne Publikum Kunst? Ist ein Gespräch, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet – unter dem Mantel der Schweigepflicht – ein künstlerischer Vorgang und wenn ja, wodurch wird es zu diesem? Durch die Verheißung, dass aus dem Prozess schließlich, wie in diesem Fall eine „Videoarbeit“ erwachsen wird? Oder allein dadurch, dass es zu einem – in diesem Fall ganz wörtlich zu nehmenden – Dialog zwischen Künstler und „Publikum“ gekommen ist; wobei das Publikum Teil der Kunst und der Künstler Teil des Publikums wurde.

Drei Sitzungen habe ich besucht und mir Zeit gelassen, diesen Text zu schreiben. Ich wollte die Nachwirkungen dieser drei Sitzungen bei Krauss erspüren und nicht versäumen, diese mit in die Gedanken einfließen zu lassen, deren Kondensat sie nun lesen. Recht schnell war mir klar, nachdem ich zunächst versucht hatte, mit Krauss darüber zu philosophieren, welche Gründe es haben kann, als Künstler sich so intensiv der Psyche zu widmen wie er, dass das ganze Projekt nur dann Sinn macht, wenn ich mich ganz auf das Konzept einlasse. Die Perspektive des Journalisten verlasse, um die Sitzung als Sitzung mitzugestalten und zu erleben, weniger eine beobachtende Position einzunehmen. Diese Sitzungen konnten nur Kunst sein, so mein Gedanke, wenn man sie nicht als Kunst wahrnimmt, sich ganz auf die Situation der Analyse einlässt. Erst durch das Verlassen der Künstlichkeit – wobei jede Situation immer etwas Künstliches in sich trägt – kann sie zur Kunst werden.

So kamen wir nach mehreren Umwegen quer durch Dinge, die mich in dem Moment der ersten Sitzung beschäftigten, recht zügig auf grundsätzliche Fragen. Fragen, beziehungsweise Themenkomplexe, die mit bei mir mal mehr, mal weniger präsenten Verhaltensweisen, Gedanken, Sorgen oder Ängsten zu tun haben. Aufmerksam hört Krauss mir zu, stellt sparsam Nachfragen. Erstaunlich ist, dass gewisse, auch sehr persönliche Themen, wie aus einem Fluss, durch die Situation zum Sprudeln animiert, peu à peu in den Fokus rücken. Dabei zeichnet sich schon bei der ersten Sitzung eine Richtung ab, die sich im Laufe der beiden kommenden Sitzungen manifestieren sollte.

Es mag fast schon stereotyp sein oder an der Methode liegen – vielleicht auch nur an Erwartungen, die man unbewusst mit der Methode verbindet –, aber wir gehen auf Spurensuche in meiner Kindheit. Wie kleine Bausteine setzen sich Tableaus zusammen, die eine zunächst neblige, später aufhellende Spur zu bestimmten Prägungen liefern. Prägungen, die mehr Einfluss auf das eigene Verhalten zu haben scheinen, als zunächst vermutbar. Natürlich kann hier – schon aus Selbstschutz – nicht allzu scharf gezeichnet ins Detail gegangen werden.

Bei der dritten Sitzung nähern wir uns langsam einem Faden, der sich trefflichst noch über Monate hinweg analysieren ließe. Doch die Zeit ist begrenzt. Trotz der Distanz entsteht eine Nähe zwischen Krauss und mir. Eine gewisse Vertrautheit. So nah dürfte man einem Künstler eher seltener kommen.

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