Konzert: Rock’n’Roll-Therapie mit Dick Brave

Mit seiner genialen Backbeats-Band versetzt Sasha die Zuschauer im ausverkauften Stahlwerk in die Musikwelt der Fünfziger.

Düsseldorf. Die Verwandlung gelingt perfekt: Bis vier Minuten nach acht ist Sasha er selbst. Danach ist er Dick Brave — und die Welt im ausverkauften Stahlwerk eine andere. Draußen mag es Finanzkrise und Champions League geben. Drinnen ist die Zeitmaschine angeworfen. Sie rast zurück und hält in den Fünfzigern. Sasha und die Popstars der Neuzeit haben ausgedient. Abgelöst werden sie durch den Urschleim ihrer eigenen Popmusik: Rock’n’Roll.

Das erste Riff auf der Elektrischen kündigt lautstark an, um was es in den folgenden zwei Stunden geht: um Gretsch-Gitarren, Cadillacs, Petticoats, Pomade und den Soundtrack einer Zeit, in der die Welt sich nach Kriegsjahren wieder selbst entdeckte und feierte — mit Elvis, Bill Haley und all den anderen. Dass Dick Brave — alias Sasha alias Sascha Schmitz — als gebürtiger Westfale des Jahrgangs 1972 diese Zeit nie miterlebte, tut nichts zur Sache.

Vielmehr macht diese unverfroren freche Herangehensweise gerade jenen Charme aus, mit dem dieser Mann so viel Erfolg hat: Er gibt dem alten Rock’n’Roll seine Jugend und Vitalität zurück. Und er hat mit dem Alter Ego Dick Brave und dessen kruder Vita eine geniale Zeitkapsel geschaffen, um sich dieser Nostalgie völlig losgelöst von den Trends der Gegenwart hingeben zu können.

Wenn der Pseudo-Kanadier Dick Brave nicht gerade in herrlich gebrochenem Englisch von „Dusseldoorf“ schwärmt und Smalltalk hält, dann geht es rund: Er dreht Hits von Depeche Mode („Just can’t get enough“) oder Adele („Rolling in the deep“) gnadenlos durch die Fifties-Mühle.

Er zeigt mit seiner Version von Green Days punkiger US-Schelte „American Idiot“, dass Gesellschaftskritik auch sexy sein kann. Er verabreicht eine „Rock’n‘Roll Therapy“, bettelt seine „Lover Doll“ an, ihr Loverboy sein zu dürfen und stellt klar: „Just a kiss, just a smile — that’s all I need“ — es braucht nicht mehr als einen Kuss und ein Lächeln, um glücklich zu sein.

Wobei das gelogen ist. Schließlich braucht Dick Brave auch seine kongenialen Backbeats: Phil Hanson bearbeitet hingebungsvoll im Stehen, Knien, darauf balancierend und über den Kopf haltend den Slap-Bass. Matt Hanson drischt auf das Stand-Schlagzeug ein.

Falco Caress bringt die Klaviertasten wie einst Jerry Lee Lewis zum Glühen. Und Adriano Ba Tolba macht im Duckwalk, dem Entengang, einen auf Chuck Berry und zeigt, wofür Gitarrensoli früher einmal gut waren: nicht für das Zur-Schau-Stellen des Musiker-Egos, sondern als Zwischenspiel, das dem Publikum zwischen zwei Tanzfiguren auch mal Zeit zum Knutschen ließ.

Apropos tanzen: Das tun im Stahlwerk bis zum Schluss vor allem die Damen, manche von ihnen wackeln mit der Hüfte sogar stilecht unterm Petticoat. Und sie alle singen lauthals mit, wenn Dick Brave wie dereinst Carole King — und so wie Benni und seine Kumpels im seicht-anzüglichen 80er-Jahre-Teenie-Film „Eis am Stiel“ — verspricht: „Take Good Care Of My Baby“.

Sobald es vermeintlich allzu wild wird mit dem Kreischen in Reihe eins, bittet er um Ruhe: „Girls, stop fighting“ — und grinst dabei schelmisch, denn auch er weiß: Mädchen, die Sasha hören, kommen in den Himmel. Mädchen, die Dick Brave hören, kommen überall hin. Vor allem dahin, wo es Spaß macht.

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