Katja Lange-Müller: Nachruf für eine untergegangene Welt

Katja Lange-Müller präsentierte im Heine-Haus ihren Roman "Böse Schafe" über Menschen im ehemaligen Westberlin.

<strong>Düsseldorf. Es ist das genaue, oft liebevolle und humorvolle Beschreiben eines kleinen, längst untergegangenen Soziotopes, das Katja Lange-Müllers Roman "Böse Schafe" so lesenswert macht. Wenn sie ihren Blick durch die Westberliner Kneipenszene streifen lässt und die sich dort herumtreibenden Typen porträtiert, hat der Zuhörer bei der Lesung im Heine-Haus fast das Gefühl, damals am gleichen Tresen sein Bier getrunken zu haben. Dabei fiel es der Ostberlinerin, die 1984 in den Westen der Stadt kam, beim Schreiben gar nicht so leicht die Vergangenheit nachzuvollziehen. "Ich habe mir erst eine alte Karte gekauft, um zu sehen, wo die Sektorengrenzen verliefen", erinnert sich Lange-Müller. Doch am meisten hat die Autorin erfahren, wenn sie durch in die schummrigen Kneipen im Wedding oder in Moabit gezogen ist. "Wenn da ein Typ steht und sagt ‚Reiß Dir doch nicht das Futter aus der Jacke’ um sein Gegenüber zu beruhigen, ist das für mich hochpoetisch." Dass sie sich mit dieser meist eher bildungsfernen Welt auseinandersetzt, hat ihren Grund: "Das sind Figuren, die immer mehr aus der Literatur verschwinden, obwohl das in der Realität gar nicht der Fall ist. Da wächst der Wunsch, so eine Entwicklung aufzuhalten", sagt Müller-Lange, die eigentlich gar keinen Roman verfassen wollte. "Das ist nicht meine Lieblingsdisziplin, aber der ursprüngliche Plan, den Stoff als Stück zu schreiben, hat nicht funktioniert, weil sich der Inhalt dagegen gewehrt hat." Dennoch bevorzugt die Autorin nach wie vor die Erzählung: "50 bis 80 Seiten sind meine Distanz, weil da eine ganz andere Nachhaltigkeit möglich ist. Kein Autor hat das Recht, den Leser länger zu beschäftigen, als unbedingt nötig. So wird nur verhindert, dass sich Menschen anderen Büchern zu wenden. Das finde ich sportlich unfair", erklärt Lange-Müller schmunzelnd. Allerdings hat sie die Länge von Büchern als Schriftsetzerin in einer Druckerei auch ganz praktisch erfahren. "Früher haben wir ja die Texte regelrecht physisch entgegengenommen und uns schon mal die Beine in den Bauch gestanden. Vielleicht sind meine Bücher deshalb auch immer so kurz geworden", sagt die Berlinerin mit ihren angenehm, trockenen Humor. An ihre eigene Zeit, nachdem sie die DDR verlassen hat, kann sich Lange-Müller noch gut erinnern: "Ich habe damals erfahren, dass die Straßen auch nach der Mauer noch weitergingen und dass die Häuser den gleich hässlichen Rauputz hatten wie bei uns. Oft war es nur das Supermarkt-Schild, dass die Welt hier von der drüben unterschieden hat." Die Autorin berichtet noch von einem anderen Phänomen, dass sie damals mindestens genauso überrascht hat. "Da war man gerade dem Sozialismus entronnen, um im Westen, dann den Pseudo-Hippie-Sozialismus zu erleben. Das war eine Verlängerung der 68er, wie eine Party, die nicht zuende gehen will. Oft wurde ich vorwurfsvoll gefragt, warum ich gegangen bin."

Von der SCHRIFTSETZERIN zur AUTORIN

Katja Lange-Müller Sie wurde 1951 in Ostberlin geboren und ist gelernte Schriftsetzerin. 1986 erhielt die Schriftstellerin den IngeborgBachmann-Preis. Beim Deutschen Buchpreis 2007 gehörte Lange-Müller zu den Finalisten. Ihr Werk besteht überwiegend aus Erzählungen. Der im vergangenen Jahr erschienene Roman "Böse Schafe" ist ihr erster Bestseller. Die Berlinerin war verheiratet mit Wolfgang Müller, dem jüngeren Bruder des Schriftstellers Heiner Müller.

"Böse Schafe" Der Roman ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen: 205 Seiten, 16,90 Euro.

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