Kartoffeln auf zwölf Uhr

Der Alltag von blinden Menschen und ihr Seelenleben: Gelungene Premiere des Seniorentheaters mit dem Blindenverein im FFT.

Düsseldorf. Man stelle sich den Teller als Ziffernblatt einer Uhr vor. Jeder Teil der Mahlzeit wird immer auf dieselbe Uhrzeit gelegt. Gemüse auf neun, Fleisch auf drei, Kartoffeln auf zwölf Uhr. Jeden Mittag und jeden Abend.

Wenn uns unsere Augen im Stich lassen und die Welt sich nur noch durch Tasten und Horchen erschließen lässt, werden solche Routinen zum Wegweiser. Dann müssen besondere Techniken und Strukturen her, um den ständigen Hindernislauf durch den Alltag zu bewältigen.

Der beginnt nämlich schon früh morgens am Kleiderschrank — und endet bei der Essensverteilung auf dem Teller noch lange nicht.

Bei der Premiere des neuen Stücks „Guten Tag! — Ein Zirkeltraining“ in den FFT Kammerspielen gewährten fünf Darsteller des Düsseldorfer Blindenvereins und des Seniorentheaters SeTA ihren Zuschauern einen unmittelbaren Einblick in das Leben mit Handicap. Zwar mit ernstem Unterton, aber auch einem konstanten Sinn für Humor.

Ein unmittelbarer Einblick — das trifft es in diesem Fall fast wörtlich, denn das Publikum darf es sich zu Beginn nicht in gewohnter Weise vor der Bühne bequem machen. Es wird auf sie dirigiert, formt einen Teil des Bühnenbildes und wird damit auch Teil des Geschehens. Die Lichter erlöschen und die Darsteller betreten die Bühne: Angetreten zum Hindernislauf.

Was nun folgt, sind eine Reihe kleinerer Szenen, in denen das Ensemble verschiedene Alltagssituationen darstellt.

Die Texte, die aus der Feder der Schauspieler selbst stammen, handeln von den tickenden Ampelanlagen, die blinden Passanten die Grün- oder Rotphasen zu erkennen geben sollen, oder von einem System zur Unterscheidung von Kleiderfarben im Schrank.

Besonders Regina Schmeing und Ute Heinrich vom Blindenverein agieren dabei so souverän, dass wohl so manchem Zuschauer ihre Sehbehinderung kaum aufgefallen sein mag.

Im Verlauf das Stücks erhält das Publikum immer besseren Zugang in die Gefühlswelt der Darsteller. Die Hürden rücken in den Hintergrund, der Mensch gerät ins Schweinwerferlicht. „Ich bin begierig darauf, die Welt aus den Angeln zu heben, doch mein Selbstbewusstsein ist wenig ausgeprägt“, sinniert Bodo von Borries.

Trotzdem entsteht nie der Eindruck, als wollten die Schauspieler auf die Tränendrüse drücken. „Ich kann alles, ich bin alles, was ich will“, lauten die letzten Worte. Dieses Ensemble erhebt Anspruch auf Normalität und Akzeptanz. Nicht auf Mitleid.

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