Düsseldorf Kalte Füße für Kleists Käthchen

Premiere im Central: Regisseur Solberg lässt seine Darsteller in knöchelhohem Wasser waten. Warum, erschließt sich nicht wirklich.

Düsseldorf: Kalte Füße für Kleists Käthchen
Foto: M. Horn

Düsseldorf. Käthchen steht barfuß im kalten Wasser, klatscht hin, erhebt sich, watet weiter. Unerschrocken vor finsteren Wegen, tosenden Wettern und wütenden Schlachten folgt sie dem Grafen vom Strahl. „Leben ohne Liebe ist Tod“, sagt sie immer wieder. Bis der Mann das Mädchen hören, verstehen und lieben wird, vergehen an diesem Abend im Central eineinhalb Stunden, in denen man sich vor allem um die Gesundheit der Hauptdarstellerin Lieke Hoppe sorgt. Regisseur Simon Solberg stellt sie auf seine überschwemmte düster-graue Bühne, bis die Nase rotgefroren ist.

Dass es ungemütlich zuging zu Ritters Zeiten, ist sicher richtig. Dass Solberg aber Kleists „Käthchen von Heilbronn“ in den Dienst einer Rammstein-Ästhetik stellt, ist wenig packend. Die sechs Darsteller gehen in gleißendem Scheinwerferlicht mit Trockner-Schläuchen aufeinander los, halten sich Taschenlampen vor das zähneklappernde Gesicht oder robben durch die Bodenfluten.

Das hat ein bisschen was von Bundeswehr-Biwak, zu dem auch willkürlich auftauchende Albernheiten passen: Ein Knecht, der mal stottert, mal sächselt, ein Burgfräulein, das scheinbar das Kutschenfenster runterkurbelt und in Proleten-Manier den Arm raus hängt. Bei all diesem Gehampel scheinen die Schauspieler ratlos zu sein, warum sie diese Würste in verschiedenen Größen und Grautönen dauernd in neue Requisiten umformen sollen.

Einer der schönsten und wortgewandtesten Seelenerforschungen der Theaterliteratur können sie damit nicht gerecht werden. Wenn André Kaczmarczyk als Graf vom Strahl oder Rainer Philippi als Käthchens Vater in ruhigen Momenten in den Text finden, zeigt sich, welches Potenzial sich in diesen Worten und im Können des Ensembles verbirgt. Auch Lieke Hoppe vermag dem Käthchen ein zartes und zugleich unerschrockenes Auftreten zu verleihen, so dass man von ihr gerne mehr gesehen hätte, als das wiederholte ins Wasserklatschen. Bevor sich aber ein Gefühl regen könnte, müssen die vier Männer und zwei Frauen auf der Bühne aus einer Burg im Nebel schon wieder eine andere Szenerie schaffen oder — und das passiert bei der Premiere erstaunlich oft — stehen schon nicht mehr im Licht.

Dass Kleists Ritterschauspiel von 1811 neben dem Credo „Leben ohne Liebe ist Tod“ durchaus Politisches und Philosophisches zu bieten hat, verhandelt die Produktion in einer überflüssigen Szene: Während sie Schnäpse kippen und sich Stoff in die Venen pumpen plappern Graf vom Strahl und der Burggraf von Freiburg (Thiemo Schwarz) über Kant und die Frage, auf welchem Weg man Wahrheit und Erkenntnis finden könne. Doch ihre Überlegungen gehen unter, während sich die Ritter im Wasser wälzen.

Der begeisterte Applaus des Publikums am Schluss war sicher auch ein bisschen dem Mitleid für die durchweichten Schauspieler geschuldet und der vielfach geäußerten Begeisterung für die neue Ära im Schauspielhaus unter dem Intendanten Wilfried Schulz.

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