Kai 10: Welche Geschichten Ruinen erzählen können

Künstler suchen in den zerstörten oder künstlich aufgebauten Gebäuderesten der Gegenwart nach melancholischen Stimmungen.

Kai 10: Welche Geschichten Ruinen erzählen können
Foto: Achim Kukulies

Düsseldorf. Die privaten Ausstellungshäuser machen den öffentlichen Instituten vor, was sie unter aktueller Kunst verstehen. Das gilt nicht nur für Julia Stoschek, sondern auch für Monika Schnetkamp und ihre Arthena Foundation im Medienhafen. An der Kaistraße 10 ließen sich die Kuratoren Ludwig Seyfarth und Julia Höner von den zerschossenen Städten einer fehlgeleiteten Kriegspolitik inspirieren und setzen den Unruheherden meditative Szenarien entgegen. „Ruinen der Gegenwart“ nennen sie ihre Schau, in der nicht nur historische Größen wie Gordon Matta-Clark, sondern auch Werke von jungen Akademie-Absolventen zu sehen sind.

Kai 10: Welche Geschichten Ruinen erzählen können
Foto: Stadtarchiv

Dorothee Albrecht verquickt Ruinen aus verschiedenen Schauplätzen und Zeiten. Sie bezieht das zerstörte Palmyra auf das zerstörte Düsseldorf im Zweiten Weltkrieg. Das Fotomaterial entdeckte sie im hiesigen Stadtarchiv. Es wurde von den Versicherungen in Auftrag gegeben, um die Kriegsverluste zu dokumentieren. Ob Straßen, Innenräume, Trümmerhaufen oder explodierende Bomben an der Bilker Allee oder am Reuscherweg, die Szenen ähneln denen in Syrien.

Ein eher poetisches Memorial verfasst Francis Alys in seinem Video „Die Stille von Ani“ (2015), das sich auf die heute verlassene, ehemalige armenische Hauptstadt Ani bezieht. Nur noch Gebäudereste erinnern an die einstige Bedeutung der mittelalterlichen Stadt im türkisch-armenischen Grenzgebiet. Sie wurde von den türkischen Seldschuken zerstört. Nun versammelt Alys Kinder und Jugendliche aus den benachbarten Städten und lässt sie mit einfachen Instrumenten verlockende Vogelstimmen nachmachen, um die Grabesstille zu überwinden. Was Kinder können, müssen Machthaber erst lernen: zu singen statt zu zerbomben.

Widerstand auf leisen Sohlen leistet auch die Iranerin Morehshin Allahyari, die heute in New York lebt. Sie rekonstruiert im 3D—Programm die zerstörten Artefakte aus dem Museum von Mossul, fügt aber den Neugüssen Speicherkarten hinzu, so dass sich die Besucher die dazu gehörende Geschichte herunterladen können. Menschenleben und Kulturgüter werden mit barbarischen Methoden vernichtet und leben nur noch im digitalen Raum weiter.

Clemens Botho Goldbach benutzt alte Backsteine von Abbruchhäusern, um neue Ruinen zu bauen. Sein Bauwerk „Ruine Kai 10“ simuliert eine Ruine, die vom Tüv auf ihre Standsicherheit geprüft werden musste. Eher konzeptuell ist sein Projekt „Euruin“, wobei er der fiktiven Architektur auf den Geldscheinen der Europäischen Union nachgeht, die in der eher labilen europäischen Wertegemeinschaft ihre Standfestigkeit zu verlieren droht.

Weitere Künstler der Ausstellung sind Gordon Matta-Clark, Ryuji Miyamoto, Manit Sriwanichpoom und Arata Isozaki, der in seiner postmodernen Architektur den Zerfall voraussah.

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