Junges Schauspielhaus: Schlimmer als jede Ohrfeige

Was passiert, wenn der Lehrer fehlt, zeigt der Jugendclub in dem Stück „Klassen Feind“. Diesmal aus Mädchen-Sicht.

Düsseldorf. Der Begriff "planetarisches Kleinbürgertum" meint beim Philosophen Giorgio Agamben jene Haltung, Differenzen lieber einzuebnen als sie zu betonen.

Im von Nigel Williams erdachten und von Sven Post in der weiblichen Version mit dem Jugendclub inszenierten "Klassen Feind" ist das anders herum: Zora (Vanessa Harbrecht) und Milka (Katherina van Tetterode) tragen ihre Differenzen bis ins Detail aus.

Wer glaubt, derlei Dinge passierten in Hanni-und-Nanni-Romantik, wo im schlimmsten Fall an den Haaren geziept wird, wurde bei der umjubelten Premiere am Jungen Schauspielhaus informiert: Mädels von heute titulieren sich mit einem Vokabular, von dem man bislang glaubte, es sei Fernfahrern zur Beschreibung des letzten Bordellbesuchs vorbehalten, und dreschen aufeinander ein, bis das (Theater-)Blut spritzt.

Wie auch bei der männlichen Version von "Klassen Feind", die vor einigen Wochen Premiere an der Münsterstraße feierte, sind es sechs Jugendliche, die vergeblich auf die Unterrichtsstunde durch ihren Lehrer, der eigentlich der erklärte Klassenfeind ist, warten. Weil das Feindbild Lehrer nicht greifbar ist, muss ein anderes gefunden werden, eines aus den eigenen Reihen.

Dafür sorgt Zora. "Komm’, schieß los!", blafft sie Engel (Laura Wilmshöfer) an, die unter dem Druck, etwas Sensationelles erzählen zu sollen, schockierende Facetten ihres Lebens offenbart. "Liefer einen positiven Beitrag, sonst brech’ ich Dir das andere Bein auch noch", wird die an Krücken humpelnde Speck (Eliana Kirckaldy) in die Arena geschickt.

Zwar körperlich unbeschadet überstehen Zecke (Annemarie Lux) und Natalia, genannt "Vodka" (Dascha Kremel), diese Prüfungen, aber anders als in der Jungs-Version vermitteln die jungen Laiendarstellerinnen dem Publikum ein bitteres Gefühl seelischer Verletztheit und vollkommenen Verlorenseins, nachdem sie sich als Feind bloßstellen lassen mussten.

Dass sie sich knallende Ohrfeigen geben, sich brutal treten und schreien, bis die Köpfe glutrot sind, ist zwar heftig und schockierend, die seelische Zerstörung aber wirkt schwerer.

"Ich bin auf der Suche nach Wahrheit", brüllt Zora - und leitet damit den Showdown ein: Zora und Milka, jetzt erbitterte Kontrahentinnen, waren einst Busenfreundinnen. In einer beklemmenden Gewaltorgie entlädt Zora ihre angestauten Gefühle - für die sie keine Worte kennt und als Ersatz ihre Fäuste fliegen lässt.

Stumm und starr stehen die anderen um sie herum, seelische Krüppel allesamt. Am Ende ist Zora allein, die anderen haben sich entschieden und um Milka formiert. Demoralisiert wirken sie. Aber irgendwie auch so, als wäre das nicht der erste Konflikt gewesen - und sicher auch nicht die letzte Auseinandersetzung dieser Art.

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